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 Gwildis (08/05)

Stefan Gwildis und Band, Stadtpark Hamburg, 20. August 2005

 

Der Vorsatz hat genau ein Jahr gehalten. Der im Sommer 2004 gefasste Vorsatz, Berichte über die „besten Konzerte aller Zeiten“ erst einmal ein Jahr zurückzuhalten und dann mit einem Jahr Abstand zu veröffentlichen. So geschehen mit meinen beiden absoluten Top-Konzerten von Heart und den Corrs im Juni 2004, deren Berichte erst Mitte 2005 hier online gingen oder gehen. Mitte August 2005 gesellte sich ein drittes Konzert auf das Treppchen der Konzerte, die ich als legendär bezeichnen würde. Aber dieses Mal hält es mich nicht. Dieses Mal gibt es den Konzertbericht wenige Tage später ..

 

Und selbst der Wettergott wurde im August 2005 zum Deutsch-Soul-Fan ...

 

Die Woche vor dem 20. August 2005 ließ nur Böses ahnen: es war heiß im Norden, wurde immer sonniger und heißer, und pünktlich zum Samstag, den 20. August, wurde eine Abkühlung in Form von Gewittern versprochen.

 

Zum Glück bereits seit Ewigkeiten im Besitz der Eintrittskarten für das schon seit Wochen ausverkaufte Gwildis-Konzert am betreffenden Samstag, erinnerten wir uns zurück an das Stadtpark-Konzert im August 2004. Auch damals war es vorher extrem sonnig, und pünktlich zum Konzertabend zogen Wolken herauf. Stefan Gwildis versuchte damals noch alles mögliche bis hin zum Wolkenverschiebesong als Start des Konzerts („schiebt die Wolken nach Barmbek“), aber es half nichts. Schwere Schauer gingen während des Konzertes herunter. Als viele Zuschauer, die wenig Open-Air-Erfahrung zu haben schienen, ihre Regenschirme aufspannten statt ein Regencape anzuziehen, textete Stefan spontan „Leute macht die Schirme zu, duda duda, hinter Euch da sieht man nichts, duda duda deij“.

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Stefan Gwildis am 20.8.2005 im Stadtpark (Foto: Sylva Trilck)

 

Am Morgen des 20. August 2005 hatten wir unseren Humor schon wieder bekommen. Dann würde es eben ein neues Regenlied von Stefan geben, unsere Regenjacken waren schon eingepackt und die leichte Sommerhose gegen eine derbere Jeans getauscht. Für alle Fälle, gegen den schlammigen Untergrund im überschwemmten Stadtpark ....

 

Nach dem Frühstück auf der Terrasse sahen wir in der Wiederholung des Hamburg-Journals um kurz vor 10 Uhr noch die Bestätigung: in Hamburg waren nachmittags Gewitter und abends Schauer zu erwarten. Mat Clasen, der Saxofonist der Boxhorns, hatte es in seinem Tagebuch schon geahnt: Wenn die Boxhorns mit Stefan Gwildis zusammen auftreten, würde sich so ein fieser Wettergott-Azubi daran machen, alles Wasser, was in diesem viel zu feuchten Sommer noch nicht zu Erden gelassen wurde, direkt über dem Stadtpark auszukippen, um Musiker und Zuschauer zu ärgern. Mat Clasen rief für den Abend des 20.8. schon alle Feuerwehren und THWs  der Gegend auf, den Stadtpark wieder leerzupumpen.

 

Bei der Anfahrt auf Hamburg hatten wir dann einer Sicherheitspuffer von drei Stunden eingeplant, um den eventuell ebenso zornigen Urlauberrückreiseverkehrstaugöttern um Hamburg keine Chance zu lassen. Diese Staugötter stellten sich am Samstag Nachmittag aber als so friedlich heraus, dass wir schon um 15 Uhr unser Auto im Kapstadtring parken konnten.

 

Das Wetter war zu diesem Zeitpunkt noch so gut, dass wir zunächst unter den Bäumen des Stadtpark herumschlenderten. Bei schöner Musikuntermalung natürlich, da die Stefan-Gwildis-Band ihre Proben schon begonnen hatte. Binnen weniger Minuten war die Besetzung des Abends herauszuhören: Ein Cello war also dabei, neben Schlagzeug auch Percussion, und natürlich die Bläser, Mat Clasen wahrscheinlich mit Tauchanzug, Taucherbrille und Sauerstoffflasche ..

 

Als wir in einem der Stadtpark-Cafes noch etwas aßen, war leider nur noch ein leichtes Basswummern zu hören. Unsere schon geplante Wetten-Dass-Wette mussten wir leider zurückziehen („Wetten, dass wir in mehreren Kilometern Entfernung nur am leichten Basswummern alle Gwildis-Titel erkennen können?“) . Gegen 17 Uhr gingen wir langsam wieder Richtung Open-Air-Gelände, um die letzte halbe Stunde der Proben wieder bei besserer Sound-Qualität hören zu dürfen.

 

Der Einlass um 17:45 Uhr bot für uns, nur mit Regenjacken, Papieren, Geldbörse und einem kameralosen Alt-Handy bewaffnet, keine Probleme. Andere hatten da schon mehr Ärger mit der Security: waren Klappstühle zum Überbrücken der nächsten vier Stunden nun erlaubt oder nicht? Wie sich herausstellen sollte, war der Stadtpark nachher so gut gefüllt, dass für die Klappstühle eigentlich kein Platz mehr war.

 

Ab 18:30 Uhr war es zwecklos, von der Mitte des Stadtparkgeländes noch irgendwelche Getränke oder Bratwürste holen zu wollen. Zum Glück wurde die aufkommende Platzangst durch das NDR-Kamerateam vertrieben, das um 18:45 Uhr ihre Positionen bezog. Sieben Kameras hatte der NDR aufgebaut, zwei im Turm hinten am Open-Air-Gelände, zwei Handkameras auf der Bühne, dazu eine schwebende Steadicam auf der Bühne, eine Kamera vor der Bühne direkt vor der ersten Zuschauerreihe, und der „Publikumsliebling“, die Krankamera. „Krani“ wirkte wie eine nett dreinblickende Mischung aus den Robotern „Nummer 5“ (aus dem Film „Nummer 5 lebt“), „R2D2“ und einer Giraffe. Krani konnte mit seinem langen Hals weit über das Publikum schwenken, nickte einigen im Publikum immer freundlich zu, betrachtete insbesondere sehr interessiert ein kleines Mädchen auf den Schultern des Vaters, und interessierte sich auch sehr für die Brezeln, die ein Brezelverkäufer in einem großen Weidenkorb über die Köpfe der Zuschauer hinwegbalancierte .. und damit genau in „Schnupperweite“ von Krani. Später im Konzert wollte Stefan Gwildis sogar spontan eine Ode über Krani und den Brezelverkäufer schreiben, Krani stimmte diesem Vorschlag auch mit heftigem Nicken zu.

 

Um 19:05 Uhr kam schließlich die Vorgruppe auf die Bühne. Wenn man näher hinschaute, kam dort Stefan Gwildis selbst von der Seite über den grünen Rasen vor der Bühne mit Gitarre daher .. im blauen Bademantel. Er bereitete das Publikum auf die vorgesehene Ausstrahlung des Konzertes im NDR vor (am 8. Oktober; in verkürzter Form) und auf die darauffolgende DVD, die an diesem Abend aufgezeichnet wurde. Auch von der rechtlichen Seite war Stefan gut informiert. Jeder, der seiner Frau am Abend noch gesagt hätte, er wäre mit Peter auf dem Gwildis-Konzert, und würde nun aber mit einer Petra stattdessen im Fernsehbild erscheinen, könnte noch in den nächsten 5 Minuten diese Katastrophe verhindern (und beispielsweise Petra gegen Peter austauschen). Mit Dock Nummer 10 solo nur an der Akustikgitarre stimmte Stefan das Publikum dann auch auf das richtige Mitklatschen, Mitschnippsen und Mitsingen ein. Nachdem dieses schon erstaunlich gut klappte, verabschiedete sich Stefan Gwildis noch einmal, auf seinen Bademantel und sein noch nicht ganz vollständig ondoliertes Haar verweisend.

 

Wenige Minuten später wurden nun die Scheinwerfer auf der Bühne in Betrieb genommen. Man hörte, wie im Radio Sender mit Soulmusik gesucht wurden, und neben Bill Withers und anderen wurde auch ein Song von Stefan Gwildis gefunden. Mittlerweile stand auch schon die 13-köpfige Band auf der Bühne und startete mit dem Eingangs-Riff zu Das kann doch nicht Dein Ernst sein den Abend. Der Wettergott-Azubi hielt sich immer noch zurück, am Himmel waren zwar die großen Wassereimer in Form einiger Wolken zu sehen, aber zum Konzertbeginn war es völlig trocken und der leichte Wind, der manchmal aufkam, war eher angenehm für die schweißtreibende Angelegenheit, die ab jetzt auf die 5000 im Rund zukam. Und ab jetzt kam der Wettergott auch aus dem Staunen nicht mehr heraus ..

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Stefan Gwildis im überfüllten Stadtpark (Foto: Sylva Trilck)

 

Die Setlist an diesem Abend bestand aus 24 Titeln, die teilweise neu ins Programm genommen wurden. Einige dieser neuen Songs waren alte Perlen, Gwildis-Eigenkompositionen der Alben „Komms zu nix“ und „Wajakla“. Ein neuer Song war aber auch ganz frisch und noch auf keinem Album zu finden. Und der „Rest“ war dann eine gute Mischung der Setlists der Gwildis-Konzerte aus den letzten zwei Jahren:

 

    1.Das kann doch nicht Dein Ernst sein

    2.Nur wegen Dir

    3.Wunderschönes Grau

    4.Wo bist Du grad (von Wajakla)

    5.Es kommt eine Zeit

    6.Tu doch was

    7.Lass mal ruhig den Hut auf

    8.Allem Anschein nach bist Du’s

    9.Große Freiheit (Duett mit Annett Louisan)

    10.Die Trägheit (Annett Louisan mit Stefan Gwildis am Luft-Schlagzeug)

    11.Sie lässt mich nicht mehr los

    12.Wir haben doch jeden Berg geschafft

    13.Für immer und ewig (von Wajakla)

    14.Papa will da nicht mehr wohnen

    15.Baby (von Komms zu Nix)

    16.So was Blödes (Duett mit Julia Schilinski; bisher unveröffentlicht)

    17.Nur in meinen Gedanken

    18.Schön, schön, schön

    19.Bleib so wie Du bist

    Zugabenblock 1:

    20.Mama mag ihn

    21.Immer weiter

    22.Das war so doch nicht geplant

    23.Sie ist so süß wenn sie da liegt und schläft

    Zugabe 2:

    24.Du bist so wundervoll

 

 

Die Titel 8 bis 11 wurden in kleiner Besetzung, mit Wurlitzer-Piano, Cello und Gitarren, auf Klappstühlen sitzend auf dem Rasen vor der Bühne gespielt – „anplackt“ (was Barmbeker platt für „unplugged“ ist). Sicher, es fehlten diverse Publikumslieblinge wie Ali’s Bude, Komms zu nix, Warum komm ich nur so selten dazu und Mond über Hamburg, aber auch so ergab die obige Setlist ein Programm von 2:45 Stunden ohne jegliche Pause.

 

Die Band auf der Bühne ist – sehr erstaunlich – immer noch die dreizehnköpfige Band vom NDR-Nachtclub und der DVD aus dem Jahre 2003 beziehungsweise von den Musikhallen- und Stadtpark-Konzerten 2004. Nur zwei Veränderungen (im Fußball würde man sagen: Verstärkungen) wurden im linken und rechten Rückraum seit Anfang 2005 vorgenommen: Die Boxhorns haben seit Anfang des Jahres nun Philipp Kacza statt Lukas Fröhlich an der Trompete, und im Background-Chor hat Sandra Glaser seit Anfang 2005 die Position von Alex Prinz übernommen. Und nach den Leistungen nicht nur auf diesem Konzert würde ich vermuten, dass diese zweite Besetzung (Mark II) das gleiche Schicksal erwarten wird wie die Deep-Purple-Mark-II-Besetzung: Letztere gilt 35 Jahre später als das Original, dem die Fans nachtrauern. Und wenn Stefan Gwildis im Jahre 2040 dann noch sein Sommer-Open-Air in der AOL-Arena spielen wird, dann werden die ergrauten Fans auch diese Mark-II-Besetzung der Gwildis-Band einfordern:

 

Stefan Gwildis - Gesang, Gitarre, Mülltonne, Luftschlagzeug
Mirko Michalzik - Gitarre
Ralph Schwarz - Keyboards
Matze Kloppe - Keyboards
Achim Rafain - Bassgitarre
Martin Langer - Schlagzeug
Pablo Esquayola - Percussion
Hagen Kuhr – Cello, Kontrabass
Sebastian Johnny John - Posaune
Philipp Kacza - Trompete
Mathias Clasen - Saxofon
Regy Clasen - Gesang
Julia Schilinski – Gesang
Sandra Glaser – Gesang

 

Der Sound. Eines der Highlights des Abends war sicher die Abmischung der einzelnen Instrumente. Von Beginn an lief das perfekt, jedes Instrument war in jeder Lage (ob solo oder im Verbund) genau so zu hören, wie man das als Zuhörer wollte. Sowohl Stefan Gwildis als auch der Background-Chor war nicht nur deutlich zu hören, sondern auch genau zu verstehen. Und das galt für die sehr druckvollen, rockigen Titel genauso wie für den leisen „Anplackt“-Teil. Die Lautstärke mag für Konzertbesucher mit ausschließlicher Diana-Krall-Erfahrung sicher etwas zu hoch gewesen sein, der Sound der elektrischen Geräte war dadurch auch ziemlich scharf und kantig, aber für Deep-Purple-Konzert-erfahrene Ohren (wie meine)  war der Schalldruck optimal.

 

Die Soli. Legendär wurde dieses Konzert auch durch die verschiedenen Soli der einzelnen Beteiligten. Bisher waren Soli der Kern-Band mit Keyboard, Gitarre und Bass vor allem auf der Nur-wegen-Dir-Tour zu hören gewesen, da ohne Bläser, Background, Cello und Percussion getourt wurde. Auf den großen Konzerten hielten sich Gitarre und oft auch Keyboards und Bass zugunsten der Bläser und des Cello zurück. Am 20. August hatte fast jedes Instrument seinen großen Auftritt. Ein tolles Gitarrensolo von Mirko Michalzik bei Papa will da nicht mehr wohnen, dort ebenso ein Trompeten- und ein Cello-Solo (Philipp Kacza; Hagen Kuhr). Ein außergewöhnliches Bass-Solo von Achim Rafain bei Schön, schön, schön, nach einem Keyboard-Solo von Ralph Schwarz. Auch Matze Kloppe am zweiten Keyboard hatte mehrere Soli, eines „mundbetrieben“ bei Nur in meinen Gedanken. Mat Clasen konnte sich mehrmals mit unterschiedlichen Instrumenten auszeichnen, er begleitete auch den Akustik-Teil in der Mitte des Konzerts.

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Stefan Gwildis und Hagen Kuhr (Cello) am 20.8.2005 im Stadtpark (Foto: Sylva Trilck)

 

Als eigenen Titel mit dem Namen „Sulo“ verkauften Stefan Gwildis, Martin Langer und Pablo Esquayola das kombinierte Schlagzeug-Percussion-Mülltonnen-Solo. Sulo war der  Herstellername der alten Blechmülltonne, die nach 70er-Jahre-Inventar aussah. Stefan Gwildis zeigte eindrucksvoll, dass man ein lateinamerikanisch angehauchtes Percussion-Solo auch auf einer gefüllten Mülltonne spielen kann. Ob der NDR es wagen wird, dieses Solo wegen der unverblümten Schleichwerbung für einen konkreten Entsorger zu senden ;-) , bleibt abzuwarten. Wenn nicht, wäre es für den musikalischen Wert des Konzerts schade.

 

Die Background-Sängerinnen hatten an diesem Abend auch noch eindrucksvoll Gelegenheit, sich auszuzeichnen, dazu aber später mehr im Rahmen der Bandvorstellung.

 

Leider bekam gerade das Bandmitglied, das auf der ersten Live-DVD das beindruckendste Solo ablieferte, dieses Mal keinen Raum dafür: der Posaunist Johnny John tat zwar viel zum Gebläse und zur Percussion, leider aber nicht als Solist.

 

Jürgen Feuerlein. Während der Umbaupausen zum Unplugged-Teil auf dem Rasen vor der Bühne und dann wieder zurück zur normalen Bühne nutzte Stefan Gwildis die Gelegenheit, sein „Mädchen für alles“, Chef über die Instrumente und die Bühnentechnik, Jürgen Feuerlein, entsprechend zu würdigen. Später am Abend gab es sogar einmal Sprechchöre für den Mann mit wehender Mähne, weißen Handschuhen und Frack.

 

Das Annett-Louisan-Intermezzo. Am Beginn des Akustik-Teils auf dem Rasen sah man noch einen unbesetzten Klappstuhl zwischen Stefan Gwildis und Mirko Michalzik. Daneben spielten noch Hagen Kuhr am Cello und Matze Kloppe am Wurlitzer-Piano. Nach dem ersten Titel wurde dann auch dieser Klappstuhl besetzt, Annett Louisan kam auf die Bühne. Sie sang bei Große Freiheit die zweite Stimme, wie auch auf dem Studioalbum. Danach spielte die Gwildis-Band mit Annett zusammen einen Titel ihres Albums “Boheme”, Die Trägheit.

 

Die Zuschauerreaktionen auf den Louisan-Auftritt waren dreigeteilt. Einige ihrer Fans waren hellauf begeistert über diesen unerwarteten Support-Act mittendrin („Mama, da ist ja sogar die Annett Louisan“ war da so ein begeisterter Ausruf hinter uns). Die meisten Gwildis-Fans, die gegenüber anderer Musik auch aufgeschlossen waren, hörten sich das Intermezzo interessiert an und verabschiedeten Annett Louisan danach mit herzlichem Beifall. Einige Gwildis-Fans, die mit der Musik von Louisan nichts anfangen konnten, waren entsetzt über den Kurzauftritt und fanden ihn fehl am Platz.

 

Zur Mittelkategorie gehörend, hatte ich beide Titel als sehr passend für das Konzert empfunden. Leider wirkte Annett Louisan bei Große Freiheit sehr gehemmt. Auf der Studioversion singt sie während der Schlussstrophen auch einmal an Stefan Gwildis „vorbei“, im Stadtpark versteckte sie sich hinter ihm. Außerdem biss sich die Stimmlage von Annett mit der des Cello, was ihr auf ihren eigenen Konzerten durch eine andere Abstimmung nicht passiert. Deshalb schob sich das Cello im Stadtpark manchmal über den Text des Liedes. Bis auf Mirko Michalzik, der ja auch Gitarre bei Louisan-Gigs spielt, hatte Annett an diesem Abend eben eine völlig neue Band um sich herum. Schade, beweist doch ansonsten Die Trägheit, dass Annett Louisan nicht nur einfach lolitahaft spielen will.

 

Dass die 5000 Zuschauer doch bis zum Schluss des Intermezzos aufmerksam zuhörten, lag auch an dem Trick, dass Stefan Gwildis bei Die Trägheit auf der Bühne blieb und das Schlagzeug „sang“ – und dazu ein Luftschlagzeug mit Händen und Füßen und toller Mimik spielte.

 

Die neuen Titel. Neu ins Programm aufgenommen wurden die Titel Wo bist Du grad, Für immer und ewig und Baby (Baby war im Winter 03 / 04 schon einmal in der Setlist). Wo bist Du grad ist für mich eines der Highlights des Albums “Wajakla”, und so war ich erfreut, diesen Titel plötzlich auf dem Konzert zu hören. Stefan bezog während der Ansage den Titel zwar auf die am häufigsten am Handy gestellte Frage, der Titel handelt jedoch von einem tagträumenden Partner, der noch physisch, aber nicht mehr geistig anwesend ist.

 

Für immer und ewig ist eine der schönsten Balladen vom gleichen Album, mit einem melancholischen Text. Live wurde mitten im Titel durch den Einsatz der vollen Band die Dynamik und der Druck erhöht, so gefiel mir der Titel noch besser als auf dem Album.

 

Baby ist eines der Highlights von Komms zu nix, ein Teil eines Einbrecherpärchens erweist sich bei diesem ironischen Text als wahres Kameradenschwein. Die lateinamerikanischen Rhythmen von Baby waren ein schöner Kontrast zu Balladen und Soul-Rock der jüngeren Alben.

 

Völlig neu war aber der Titel So was blödes, die deutsche Version des Frank-Sinatra-Schmachfetzens Something stupid. Den Titel werden die jüngeren Fans sicher Robbie Williams und Nicole Kidman zuordnen. Stimmlich ausgewogener war sicher das Duett im Stadtpark mit Stefan und Julia Schilinski, die „Lady der ersten Stunde“, die auch schon auf den ersten Alben die Background-Stimme war. Stefan und Julia waren dabei nicht nur stimmlich ein Traumpaar, sondern auch auf dem Tanzparkett. Zum Instrumentalteil des Songs tanzten dann nicht nur die beiden, auch die Background-Flanken hatten sich neu sortiert: so stand Regy Clasen links im Boxhorns-Bereich und Bruder Mat rechts bei Sandra Glaser. Und die Tanzpärchen Regy / Philipp sowie Sandra / Mat unterstützten dann die beiden Hauptakteure. Die Tanz-Performance forderte das Publikum auch zum Szenenapplaus auf. Eine solche gelungene Eng-Tanz-Einlage hatten wohl vorher nur Bono und Andrea Corr hinbekommen (etwa beim schottischen Live-8-Konzert vor anderthalb Monaten).

 

Die Bandvorstellung. Die Bandvorstellung ist immer eine der spannendsten Angelegenheiten auf Gwildis-Konzerten. Bisher hatte er es bei unserer Anwesenheit noch nie geschafft, seine 13-köpfige Band vollständig vorzustellen, irgendeiner musste immer dran glauben und wurde übergangen. Vielleicht durch die sieben Fernsehkameras zu voller Konzentration gezwungen, arbeitete sich Stefan nun im Stadtpark am Ende des Songs Bleib so wie Du bist von links nach rechts durch seine Band. Besonders nett war die Vorstellung des Background-Chores gelungen, da jede der drei Sängerinnen einen gesamten Textteil zu Bleib so wie du bist singen durfte .. und spätestens hier war es nun auch von Vorteil, dass das Intermezzo mit Annett Louisan sehr viel früher stattgefunden hatte .. einem direkten Vergleich mit den drei Background-Stimmen hätte sich an diesem Abend wohl kaum eine andere Sängerin stellen dürfen. In unserer Gruppe war Regy als Solo-Künstlerin schon bekannt, einige wurden dann aber von der Stimmgewalt von Sandra Glaser fast überfahren, die bei der Vorstellung der drei den Anfang machte. Ein großes Glück für Stefan, neben der Alt-Stimme von Julia Schilinski auch zwei herausragende Solo-Sängerinnen in seinem Background-Chor zu haben.

 

Die Gimmicks. Die Fernsehkameras hemmten Stefan Gwildis etwas daran, seine ausufernden Variationen und Improvisationen bei den Ansagen oder teilweise beim Umtexten von Songs auch an diesem Abend zu bringen. Der „running gag“ mit Papst Ratze hatte sich schnell etwas überlebt und war auch nicht immer passend (das bayerische Schön, schön, schön etwa).

 

In die Earth-Wind-and-Fire-Version von Mama mag ihn baute die Band an diesem Abend wirklich  Earth, Wind and Fire ein. Mama mag ihn schwenkte im Schlussteil plötzlich auf den EWF-Hit September ein, kehrte dann aber genauso schnell wieder zurück

 

Das Wetter konnte Stefan Gwildis auch noch zu einem Gag ummünzen. Als er beim Titel Wunderschönes Grau zuerst nach links oben schaute, sah er plötzlich – oh graus – blauen Himmel über dem Stadtpark. Erst rechts außen zeigte sich ein schöner grauer Wolkenteppich und Stefan stürzte zu diesem Teil der Bühne, um das Lied auch authentisch herüberzubringen.

 

Ansonsten war dieses Konzert fast untypisch perfekt. Aufatmen bei uns deshalb am Ende während der Zugaben, als Stefan sich mal kurz über die Reihenfolge der Songs mit Mirko Michalzik abstimmen musste und dort kurzfristig noch etwas umstellte.

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Ralf Schwarz (Keyboards), Mat Clasen (Saxophon, Flöte), Stefan Gwildis und halb verdeckt Mirko Michalzik (Gitarre)
(Foto: Sylva Trilck)

 

Das Kamerateam. Als vor kurzem die für den Lone Reviewer bisher beste DVD des Jahres 2005 auf den Markt kam (Castles and Dreams von Blackmore’s Night), mussten wir uns etwas ärgern über die Kameraführung oder Bildregie bei einem Keyboard-Solo. Während des etwa einminütigen Solos schafften es Kameras oder Bildregie nicht, den Keyboarder ein einziges Mal im Bild zu zeigen. Nach der läuferischen Leistung der NDR-Kameraleute im Stadtpark zu urteilen, wird das bei der Gwildis-DVD weitaus besser klappen. Einmal beobachtete ich den Kameramann vor Matze Kloppe und dachte, dass er zur nächsten Strophe unbedingt auf den Background-Chor wechseln müsste, da dieser dort eine entscheidende Rolle spielte. Auf die Sekunde genau zu Beginn dieser Strophe wechselte die Handkamera dann wirklich die Position und zeigte auf den Chor. Das war Gedankenübertragung. Oder eine perfekte NDR-Regie. Jedenfalls freuen wir uns schon auf diese DVD. Wenn die noch vor Weihnachten erscheint, könnte der Rang von Blackmore’s Night auf Platz eins der DVD-Rangliste 2005 ernsthaft gefährdet sein.

 

Das Publikum. Die Begleitumstände im übervollen Stadtpark waren zwar für einige Zuschauer nicht so angenehm, aber trotzdem stand das Publikum wie eine eins hinter der Band, sang und klatschte kräftig mit. Der obligatorische Mitsingteil, dieses Mal während der Zugaben, führte zu einigen tollen Gesangsleistungen zum Text „Sie ist so süß wie sie da liegt und schläft“. Besonders beeindruckend dabei eines der kleinen Mädchen, das auf dem Rasen rechts von der Bühne saß und text- und stimmsicher diesen Refrain sang.

 

Bei Immer weiter wurde die Erde kräftig mit 10.000 Händen von links nach rechts gedreht, ein beeindruckendes, wogendes Hände-Meer war da zu sehen. Und im Schlusstitel Du bist so wundervoll wurden Feuerzeuge geschwenkt.

 

Der Schlussakkord. Als Mirko Michalzik, Hagen Kuhr, Matze Kloppe und Stefan Gwildis zu viert auf der Bühne den Schlussakkord der allerletzten Zugabe Du bist so wundervoll spielten, fing es plötzlich an zu tropfen. Es tropfte etwas mehr, noch etwas mehr. Leider fiel der frenetische Beifall, der nach der ersten Zugabe und der gemeinsamen Verbeugung aller 14 Musiker noch tosend war, nun nicht mehr ganz so tosend aus, da einige der Zuschauer mit dem Aufspannen von Schirmen oder Auswickeln der Regencapes beschäftigt waren. Es war zu diesem Zeitpunkt exakt 22 Uhr, die Stadtparksperrstunde. Wie man so exakt ein fast dreistündiges Konzert mit Improvisationen und Ansagen timen kann, weiß ich nicht.

 

Der tropfende Regen in den Abmarsch der Zuschauer war ganz angenehm. Nicht zu stark, aber schön abkühlend für die heißgelaufenen Klatschhände und verschwitzten Gesichter. Irgendwann merkten wir auch, dass das kein normaler Regen war. Kein Platzregen des Wettergott-Azubis mit seinen vollen, übergroßen Eimern. Der Wettergott-Azubi hatte die Eimer schon weggestellt und weinte nun bitterlich über sich selbst, dass er über 5000 gut gelaunte und zufriedene Menschen inklusive einer engagierten und spielfreudigen Band mit schweren Schauern hätte ärgern wollen. Und seine Tränen kühlten nun die nach Hause ziehenden Zuschauer wieder auf Normaltemperatur herunter.

 

 

Das Fazit. Ein perfekter Samstag, vom Spaziergang im Stadtpark bis zum Fußweg zum Auto im leichten Regen. Eine extrem spielfreudige Band, der man die gute Laune ansah. Perfekte Musik, guter Sound, toll abgemischt. Ein schönes Erlebnis durch die sieben Kameras und die Gewissheit, dass der Abend für die Ewigkeit konserviert wurde.

 

Gab es noch Haare in der Suppe? Natürlich, das kriegen wir aber alles hin, vielleicht mit Stefan gemeinsam. Zunächst einmal wird nächstes Mal pünktlich um 19 Uhr begonnen, wir helfen auch beim Ondolieren mit. Dann ist Platz für die fehlenden Titel der Setlist, etwa Ali’s Bude, Komms zu nix und Warum komm ich nur so selten dazu. Außerdem ist dann noch Platz für ein fehlendes Posaunen-Solo. Obwohl wir nicht meckern wollen: 26 Euro für 165 Minuten sind ja schon optimal, vergleicht man es mit Joss Stone, die drei Tage zuvor im Stadtpark für 40 Euro 60 Minuten Präsenz zeigte. Im August 2006 gibt es also dann ein schönes Stadtpark-Konzert über volle drei Stunden, bei bestem Wetter. Der Wettergott ist ja selber nun Deutsch-Soul-Fan ...

 

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Nicole Zohlen, 105music und Elfi Küster, Küstercom
Credits: Fotos von
Sylva Trilck

 

Andreas (a.h., andreas@lonereviewer.de)

 

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