Home
BuiltByNOF
 Deep Purple: Bananas

Deep Purple - Bananas

Muss das sein? Ein neues Album von Deep Purple? Deep Purple, das
waren doch die, die in den Jahren 1970 bis 1972 in ihrer zweiten
Besetzung mit "Smoke on the Water", "Highway Star", "Child In
Time", "Black Night" und "Strange Kind of Woman" Hardrock-Hymnen
geschaffen haben. Die in jedes Lied zwei Instrumentalteile, eines
für E-Gitarre und eines für die Hammond-Orgel, eingebaut hatten.
Die im Konzert diese Instrumentalteile dann in ein 20-Minuten-Epos
auswalzen konnten und trotzdem wieder zurück zur Grundmelodie
fanden.

Klassiker wie "Smoke on the Water" braucht man auf diesem neuen
Album nicht zu erwarten, dafür aber abwechslungsreichen,
melodischen Hard-Rock bester Güteklasse. Instrumentalteile sind
wieder in jedem Stück enthalten, Gitarre und Keyboards wechseln
sich hier ausgewogen ab.

In der Besetzung

Ian Gillan (Gesang, Mundharmonika)

Roger Glover (Bass)

Ian Paice (Schlagzeug, Percussion)

Don Airey (Keyboards)

Steve Morse (Gitarren)

ist Deep Purple wieder ein Werk gelungen, das mit kleinen
Schwächen (bei den Titeln 3 und 4), aber ohne Aussetzer anhörbar
ist. Allerdings eignet sich das Album nicht als
Hintergrunduntermalung, sondern es ist ein Zuhör-Album. Wenn man
das dann 52 Minuten gemacht hat, fühlt man sich aber besser.

Zur "Leichtigkeit des Seins im Hard-Rock" hat nicht nur eine
gelöst und frei von Zwängen aufspielende Band, sondern mit Michael
Bradford wohl auch ein passender Produzent beigetragen. Wer die
etwas sperrigen Melodien und insbesondere die angestrengte
Spielweise von Deep Purple vom letzten Album "Abandon" noch kennt,
wird hier angenehm überrascht sein. "Bananas" ist den Klassikern
der 80er ("Perfect Strangers") und der 90er ("Purpendicular")
ebenbürtig - in Bezug auf Abwechslungsreichtum und gleichmäßiger
Qualität der Songs sogar überlegen. Und: Dieses Album ist nicht
"überproduziert", die Instrumente sind klar unterscheidbar und
teilweise auch mit ihren Ecken und Kanten herauszuhören.

Hier zu den einzelnen Songs noch einige Anmerkungen:

1. "House of Pain". Der Opener,
ein "echter" Opener. Ganze neun Sekunden
Gitarrenriff und ein Schrei von Ian Gillan
am Beginn reichen, um den Titel schon
gutzufinden. Das Gitarrenriff, wird
begleitet nur von der Kuhglocke, die schon
richtig Dampf macht. Nach dem Schrei kommen dann
auch Schlagzeug,
Bass und Orgel dazu. Aus der Rubrik "melodischer,
treibender Hardrock" im Stile von AC/DC,
Soli von Steve Morse und Don Airey (keyboards),
am Schluss kommt
die Mundharmonika von Ian Gillan dazu.

2. "Sun Goes Down": Der Titel ist Programm, ein düsterer
Hardrock-Song, sehr Keyboard-lastig, erinnert an den Stil der
frühen Mark-II-Phase des Albums "In Rock". Soli von Steve Morse
und (ein längeres am Schluss) von Don Airey.

3. "Haunted": Die erste Single-Auskopplung, ein radiotauglicher
Song, eine Ballade. Leider ist die Gesangsmelodie und der
"reim-dich-oder-ich-schlag-dich"-Text etwas gewöhnungsbedürftig
"I´m haunted, haunted, is that what you wanted". Untermalt ist das
ganze mit einer Background-Sängerin und Streichern. Nunja, die
Plattenfirma ist zufrieden und das muss in der heutigen Zeit ja
schon das einzige Kriterium sein ..

4. "Razzle Dazzle": Ein fröhlicher Rocker mit Nonsense-Text und
einer Hammond- und Klavier-Untermalung, ein Klaviersolo von Don
Airey, das aber etwas die "angezogene Handbremse" durchscheinen
lässt.

5. "Silver Tongue": Ein tolles Lied im Stil von Perfect Strangers.
Letzteres zählt wohl unbestritten zu einem der besten
Deep-Purple-Lieder der letzten 20 Jahre. Tolles Ping-Pong von Ian
Gillan und Steve Morse während der zweiten Strophe, tolles Morse-
und Airey-Solo in der Mitte des Songs, dann wieder ein Ping-Pong
von Ian Gillan und Don Airey in der Strophe nach dem Solo. Für den
Zuhörer mit Sinn für die feinen Details einer der Höhepunkte auf
Bananas. Nur das etwas einfallslose Ausblenden am Schluss hätte
nicht sein müssen.

6. "Walk On": Je nach Stimmung wieder ein Highlight von Bananas.
Wer den Blues "When a Blind Man Cries" kennt, hört hier den
würdigen Nachfolger dieser Hymne. Walk On, ein
Sechs-Minuten-Stück, das mit klassischer Schlichtheit glänzt.
Tolle Vocals, tolle Gitarrenuntermalung. Der Teppich von
Keyboards, Bass und Schlagzeug dazu ist sowohl schlicht aber auch
kraftvoll genug, um das Lied nie langweilig werden zu lassen. Das
wäre für mich die erste Single-Auskopplung gewesen - aber wer hört
im Radio heutzutage schon sechs Minuten am Stück zu? Übrigens:
Natürlich fehlt auch ein "getragenes" Steve-Morse-Solo, passend
zum Tempo des Songs, nicht, zum Abschluss ein Don-Airey-Solo im
gleichen Stil.

7. "Picture of Innocence": Das Lied beginnt wieder als Blues,
verändert jedoch schnell den Charakter, nach den Strophen beginnt
der druckvolle und rockige Refrain, danach sie Strophen wieder
relaxt und bluesig. Interessant auch hier, dass der Meldieteppich
hinter dem Gesang manchmal von Steve Morse, in der nächsten
Strophe dann aber von Don Airey kommt. Ein zweigeteiltes Solo von
Steve Morse, im zweiten Teil lebt er seine Schnelligkeit über den
Saiten aus, von vielen leider auch als "Frickelsolo" verschrien,
direkt im Anschluss ein Solo von Don Airey, der Abschluss des
Instrumentalteils dann wieder von Steve Morse.

8. Durchspieltipp "I Got Your Number". Ein
komplexes Lied, das einige Mal Rhythmus und
Melodie wechselt, auch nach 3:30 gibt es
noch Überraschungen, langsames, mystisches
Mittelstück. Ein sehr schönes Lied, das man
aber vollständig und in Ruhe hören muss. Für mich ist diese
Komplexität im Hard-Rock, die verschiedenen aufeinander
abgestimmten Melodien, ein Markenzeichen von Deep Purple. Deshalb
ist "I Got Your Number" eines der Highlights .. wenn man Zeit hat,
das Lied ganz und nicht nur als Hintergrunduntermalung zu hören.
Natürlich enthält auch dieses Lied ein Morse- und ein Airey-Solo.

9. "Never a Word": Ein ungewöhnliches Lied, mit Akustikgitarre
vielleicht im Stil von Simon und Garfunkel. Nach einigen Minuten
denkt man schon, "aha, das ist das Instrumentalstück", dann setzt
zum Schluss doch noch Gesang ein, auch hier klingt Ian Gillan wie eine Mischung
aus Paul Simon und Art Garfunkel. Das Lied wird aber getragen vom
Orgel-Intro und der darauffolgenden akustischen Gitarre.

10. "Bananas": Das Titelstück, mit einer treibenden, aber nicht besonders eingängigen Melodie.
Ian Gillan begleitet seinen Gesang selbst mit der Mundharmonika. Das Lied wäre nicht
erwähnenswert, gäbe es da nicht einen fast zweiminütigen
Instrumentalteil am Schluss, ein Gitarre-Orgel-
Duell, das man sonst nur von Deep-Purple-Live-Konzerten kennt.
Vielleicht der beste Instumentalteil des Albums.

11. "Doing It Tonight": Dieser Titel ist mit der Zeit
zu einem meiner Lieblingstitel des Albums geworden, obwohl er mir
zuerst etwas spanisch vorkam.
Er klingt etwas latino-pop / spanisch
angehaucht und ist doch typischer Purple-
Hard-Rock mit der üblichen Songstruktur (1. und 2.
Strophe, langes Gitarrensolo,
Gesangsbrücke, 3. Strophe, Orgelsolo,
Instrumental-Schlussteil).

12. "Contact Lost": Ein Steve-Morse-Instrumental, mit dem einzigen
Fehler, dass es nur 90 Sekunden dauert. Dieser Fehler ist jedoch
Programm, ist Contact Lost doch ein Lied für eine der
Columbia-Astronautinnen, die Deep-Purple-Fan war und sich wohl
jeden Morgen im Weltraum von "Space-Truckin"-Klängen wecken liess.
Wie der Landeanflug der Columbia zu früh abbrach, als die Columbia
beim Eintritt in die Athmosphäre auseinanderbrach, bricht auch
dieses Gitarren-Instrumental zu früh ab. Die Landung erleben wir
nicht mehr.

Musste dieses Album also sein? Von den Donos des Hard-Rock? Ja, es
musste sein. Vergleichbares findet sich in dieser Zeit sonst kaum.
 

[Home] [Impressum] [Über uns] [Aktuelles] [Update-Archiv] [Konzerte] [CDs/LPs] [DVDs] [Quickies] [Top-Listen] [Audio-Tipps] [Kolumne] [Galerie] [Links]