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 San Glaser

Ein bittersüßes Relikt aus vergangenen Tagen: Volle Kirchen, samtig-weiche Stimmung

 

Sandra Glaser mit Quartett in St. Johannis, Hamburg-Harburg, 4.6.2005

 

 

Die Verantwortlichen der  St.-Johannis-Gemeinde in Hamburg-Harburg wirkten bereits um 20 Uhr überglücklich. Zwar begann der Abend in ihrem als Jazzkirche bezeichneten Haus im Rahmen der Hamburger „Nacht der Kirchen“ gerade erst, die ziemlich modern, schmucklos und weiß-kühl wirkende Kirche hatte sich aber bis in die zusätzlich aufgestellten Stuhlreihen gut gefüllt – volle Kirchen, fast ein Relikt aus vergangenen Tagen. Um 20 Uhr pünktlich begannen dann auch die fünf Musiker ihren Auftritt, die wir diesen Abend sehen wollten: San Glaser und ihr Quartett (eine Vorstellung von San Glaser findet sich auch in der Rubrik „Top-Newcomer“ unter „Top-Listen“ auf dieser Website).

 

Als wir um 19:30 Uhr in die Kirche eintraten, diskutierten wir noch über die Akustik in dem hohen und kahlen Raum. Da San Glaser aber ohne Elektrobass und Basstrommel auftrat, war die Akustik hervorragend. Auch vom Sound her stand also nichts mehr einem schönen Soul-Jazz-Abend entgegen.

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San Glaser in Harburg in der “Nacht der Kirchen” (links: Tobias Neumann); Foto: Henning Wagner

 

Die vier Musiker

 

Tobias Neumann (Keyboards)

Mirko Michalzik (Gitarre)

Jens Wrede (Kontrabass)

Robbie Smith (Percussion, Background-Gesang)

 

begannen zunächst ohne Sängerin, die im Nebenraum zu warten schien. Was zuerst ein langes Instrumental-Intro zu einem Lied zu werden schien, stellte sich nachher als ausgewachsenes Instrumental-Stück mit Keyboard- und Gitarren-Solo heraus. Jeder im Publikum schien die ganze Zeit auf die Seitentür zu starren, ob denn nicht endlich die Hauptperson des Abends erscheint. San Glaser kam dann auch - zum zweiten Lied.

 

Die Setlist des 45-minütigen Auftritts (ab Titel 2 sind alle auf dem im August erscheinenden Album „Never in Vain“ enthalten):

 

    1.Instrumental-Intro (Keyboards, Gitarre, Kontrabass, Percussion)

    2.Consequences (Text, Musik: Harald Mönckedieck)

    3.All of my Life (Text, Musik: Harald Mönckedieck)

    4.Never in Vain (Text: San Glaser; Musik: San Glaser, Christian Doepke)

    5.Don’t Hold Back (Text: San Glaser; Musik: Christian Doepke)

    6.Miracles (Text, Musik: San Glaser)

    7.Talk to me (Text: San Glaser, Jason Nye; Musik: San Glaser, Christof Littmann)

    8.Comin’ Home (Text, Musik: Harald Mönckedieck)

    9.In my Dreams (Text: San Glaser; Musik: San Glaser, Nils Tuxen)

 

Consequences startete in die noch etwas kühle Kirchenathmosphäre hinein. Kirchenbänke laden nun einmal zunächst zum artig und versteinert sitzen ein, um die Predigt über sich ergehen zu lassen. Die kühle Athmosphäre wurde aber plötzlich samtig-weich während der Ballade All of my Life. Der hohe und kahle Raum schien sich mit San Glasers toller Stimme zu füllen. Dieses Lied ist sicher ein sogenannter „Signature Song“, wenn man etwas über die stimmlichen Fähigkeiten der Sängerin wissen möchte – und die waren beeindruckend. Tobias Neumann an den Keyboards hatte in diesem Lied auch sein erstes Solo.

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Zu Beginn von Never in Vain gestand San Glaser ein, dass sie ziemlich nervös in diesen Abend gegangen war, die Nervosität sich aber auch durch das langsam auftauende Publikum schnell abbaute. Das Quartett in dieser Besetzung spielte an diesem Abend zum ersten Mal. Angeregt durch das auftauende Publikum sprach sich San Glaser während des Songs dann Mut zu, ob sie es nicht einmal mit einem Mitsingteil für das Publikum versuchen könnte. Der Text war einfach („la-la-la-la“), die Melodielinie aber San-Glaser-like sehr filigran und lang, so dass das Publikum schon ziemlich gefordert war. „In der Kirche singen immer alle, auch die, die eigentlich nicht singen sollten“ meinte San Glaser und der Kirchenchor hielt sich daran. Zwar starb das Publikum am Ende der Zeile etwas den Konditionstod, aber der Effekt war erreicht, das Publikum war nun „im Boot“.

 

Der Titel Don’t Hold Back begann und endete mit je einer Strophe, in der San Glaser nur von der Gitarre (Mirko Michalzik von der Stefan-Gwildis-Band) begleitet wurde. Die Gitarre, meist sehr im Hintergrund spielend, konnte sich dadurch einmal besser in Szene setzen.

 

Ist der „Signature Song“ für Sans Stimme auch All of my life, so ist die Grundmelodie von Miracles sicher das Markenzeichen von ihrer Musik. Dieser Titel ist eine komplette Eigenkomposition der Sängerin. Auch in dieser Hinsicht hebt sie sich gegenüber vielen Frontfrauen im Soft-Soul-, Soft-Jazz- und Swing-Bereich ab, die nur fremdes Material präsentieren. Und da Bandvorstellungen zu den wichtigsten Bestandteilen eines Konzerts gehören, hatte die liebevolle, in Miracles eingebettete Bandvorstellung durch San Glaser auch das Prädikat „wertvoll“ verdient. Sie achtete selbst darauf, den Blick auf den hinter ihr sitzenden Robbie Smith (Percussion, Background-Gesang) durch einige Schritte zur Seite freizugeben und war bei der Vorstellung des aus der Lüneburger Heide stammenden Bassisten Jens Wrede fast etwas neidisch auf seinen Wohnort.

 

Da das Album noch gar nicht erschienen war, kannten wir fast alle Titel nur als Soundschnippsel, die auf www.sanglaser.com bereitstehen. Eine Ausnahme war der Titel Talk to me, den es als Livestream vollständig auf einer MTV-Songwriter-Seite gibt. „Ein Hit? Schaun wir mal“ sagt San Glaser zu Beginn dieser Videoaufzeichnung etwas schelmisch. Das Potential genau dafür hätte das Lied aber, wenn sich die Radiosender mal etwas mutiger zeigen würden bei der Playlist-Generierung.

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Die Musik von San Glaser ist irgendwo zwischen softem Jazz und Soul angesiedelt, mit einigen Folk-Elementen versetzt. Letztere kommen beim Titel Comin’ Home zum Vorschein, ein Titel, der sicher auch integraler Bestandsteil des Norah-Jones-Albums „Feels like Home“ sein könnte. Wer Norah Jones mag, sollte auch San Glaser mögen. Zu Beginn von Comin’ Home schnippste sich die gesamte Band erst einmal in den richtigen Takt – und weil das etwas länger dauerte als sonst, fragte San etwas belustigt sogar das Publikum „ist das Tempo so richtig?“. Und die Sängerin war dann während des Liedes auch sichtlich begeistert über ein phantastisches Gitarrensolo von Mirko Michalzik, das auch das Publikum zum Szenenapplaus herausforderte.

 

Stimmungsvoll, leider aber nach 45 Minuten viel zu früh, kam der letzte Song des Abends. In my Dreams ist eine Ballade, die nur von Mirko Michalzik an der Gitarre begleitet wird. Ein schöner Ausklang eines Konzertes im Stil von Stefan Gwildis, der auch immer auf eine gitarrenbegleitete Ballade als Schlusslied setzt. Der Rest der San-Glaser-Band versteckte sich während dieses Titels hinter der Kirchenkanzel.

 

Nach dem „Bow“, der gemeinsamen Verbeugung der gesamten Band, ließ sich das Publikum zu einigen Begeisterungsschreien hinreißen. Große Teile des Publikums klatschten auch nach dem Abgang der Band noch munter weiter, auf mindestens eine Zugabe hoffend. Schließlich waren sich dann aber alle unsicher, ob so etwas bei dem straffen Zeitplan mit vier Auftritten bis 24 Uhr überhaupt erlaubt war, und so ebbte der Applaus irgendwann ab.

 

Eine volle Kirche, ein Relikt aus vergangener Zeit. Warum auch San Glasers Stimme in ihren Pressetexten als bittersüßes Relikt aus vergangener Zeit bezeichnet wird, konnte man an diesem Abend eindrucksvoll erleben. Vergleiche mit Norah Jones und den jugendlichen und etwas unreifen Stimmen wie Katie Melua hinken etwas, den Stimmumfang, das samtig-weiche in der Stimme und die Ausdrucksstärke erreichen diese „Vorbilder“ allesamt nicht.

 

An diesem Abend stürzten wir nach einem kurzen Stopp an der kleinen Bar der St.-Johannis-Kirche Richtung St. Petri zu Regy Clasen – und Anfang Oktober stürzen wir uns auf Amazon, da soll das San-Glaser-Album „Never in Vain“ endlich erscheinen.

 

 

a.h. (andreas@lonereviewer.de), an diesem Abend zusammen mit a.j. (andre@lonereviewer.de) nicht ganz „lone“

 

Fotos mit freundlicher Genehmigung von San Glaser; Credits: Foto 1 (live aus Harburg) Henning Wagner; Foto 2 und 3: Philip Glaser

 

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