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 Regy Clasen (2005)

Regy Clasen und Band, Mandarin-Kasino Hamburg, 26. Januar 2005

 

Wunderkerzen, doppelblind und der Runaway-Effekt

 

Der Hamburger Soul-Sängerin Regy Clasen wird nachgesagt, dass sie Kameras und Kameraleute magisch anzieht, selbst wenn ihr eine Background-Rolle zugewiesen wurde. Im Hamburger Mandarin an einem kalten Januarabend hatte sie die Hauptrolle, und natürlich drängten sich die Fotografen mit ihren Kameras direkt vor der Bühne, um die besten Fotos der Hauptdarstellerin zu bekommen – gerade in den Momenten, in denen sich Regy vom Mikrofon mal ein paar Schritte wegbewegte.

 

Wenn mitten im Konzert aber diese ganze Fotografenschar der Bühne und damit Regy Clasen plötzlich den Rücken zudreht und ganz aufgeregt auf die Auslöser drückt, so muss etwas außergewöhnliches passiert sein. Regie für dieses außergewöhnliche Schauspiel führte Mona, die Regy-Oberassistentin unter den als Regy-Assistenten bekannten Clasen-Fans. Auf geheimen Kanälen vorher an die Setlist gekommen, hatte sie vor dem Konzert an andere Fans Wunderkerzen verteilt und das Kommando zum Zünden der Wunderkerzen dann bei „Ergib Dich“ gegeben – und so nach 100 Wunderkerzen sah das dann aus, was dort gleichzeitig in die Höhe gestreckt wurde. Ein Gänsehautmoment nicht nur für Regy, die wohl kräftig schlucken musste. Dass das nicht der einzige Gänsehautmoment in einem tollen Konzert war, dazu später noch mehr.

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Das Mandarin-Kasino, der ehemalige Mojo-Club neben dem Operettenhaus auf der Reeperbahn, füllte sich bis zum Konzertbeginn um 21 Uhr sehr schnell und war dann mit über 550 Zuschauern wohl vollends überfüllt. Die Temperaturen bis zum Ende des Konzerts um 23:30 Uhr konnte man als tropisch beschreiben. Die Bar im hinteren Teil des Saales hielt ein spezielles Regy-Getränkemenu bereit, das die Wartezeit auf das Konzert verkürzen konnte.

 

Zwei Gäste hatte Regy in den Hamburger Zeitungen vor dem Konzert angekündigt: „Ein Jungspund und ein alter Hase“. Jonathan war der Jungspund. Regy meinte zur Einleitung, er hätte ihr einige Lieder auf dem Sofa mit seiner Gitarre vorgespielt und sie wäre hin und weg gewesen. Jonathan erwies sich tatsächlich als schelmischer Lausbub, in etwa der gleichen Körpergröße wie Regy, der aber mit seinen selbstironischen Liedern allein an der Gitarre auf ein freudig applaudierendes Publikum traf. Die Gitarre musste erst einmal nachgestimmt werden, die Temperaturunterschiede zwischen den „minus 30 Grad Backstage und den 1000 Grad auf der Bühne“ waren doch zu viel des Guten. Ach ja, und natürlich: Jonathan sang deutsch. Der alte Hase, der in der Mitte des Konzertes die Bühne betrat, war Regy’s Label-Chef  Michy Reincke. Regy und Michy sangen zunächst das Duett „So schön kann keine Frau sein“, danach lieferte Michy Reincke noch ein neues Solo-Stück.

 

Regy’s Band ist schon seit einiger Zeit stabil und hatte nur im Sommer 2004 den Wechsel von Jürgen Scholz auf Christian Gauger an der Gitarre erlebt (und einen Wechsel im Background-Gesang). Ansonsten stand hier wieder die Baderanstalt-Besetzung vom Februar 2004 auf der Bühne, die wir schon in unserem damaligen Konzertbericht über den grünen Klee gelobt hatten:

Regy Clasen – Lead-Gesang, Keyboards

Emre Akca – Schlagzeug, Cajon

Ralli D. - Bassgitarre

Martin Meyer  -  Rhodes, Keyboards

Christian Gauger - Gitarre

Matthias Clasen - Saxophone, Querflöte, Percussion

Miriam Schell und Stephanie Hundertmark – Background-Gesang

Ergänzt wurde Regy’s Band, wie auch bei zwei Auftritten in Berlin und Hamburg im letzten Jahr, durch die Boxhorns, das Bläsertrio um Regy’s Bruder Matthias. Die Boxhorns bestehen neben Matthias noch aus

Lukas Fröhlich – Trompete

Sebastian „Johnny“ John(son) – Posaune

Leider scheint das Mandarin-Konzert eines der letzten mit den Boxhorns in dieser Originalbesetzung gewesen zu sein. Lukas Fröhlich wird das Trio zugunsten eigener Projekte verlassen.

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Manfred Mann und Mark Knopfler gehörten nicht zur Band, waren aber an diesem Abend „im Geiste“ zu hören. Das abendfüllende Konzert ließ genügend Raum für Improvisationen und Instrumentalsoli. Die begeisterndsten Soli waren vielleicht die von Christian Gauger an der Gitarre (bei „Ich seh Dich“) und Martin Meyer an den Rhodes (bei „Männer“). Keine Alibi-Soli, sondern exzessive, sich langsam aufbauende Soli mit einem jeweils furiosen Ende – und natürlich einem brandenden Szenenapplaus danach. Während die Leistung von Christian Gauger sich schon ansatzweise im NDR2-Radiokonzert andeutete (eine Aufzeichnung aus dem Mandarin-Kasino vom letzten Sommer), war das Rhodes-Solo die große Überraschung des Abends. So langsam ist mir auch klar geworden, warum sich Martin Meyer eben diesen Künstlernamen mit der Abkürzung MM zulegte: Sein Solo erinnerte an den großen Tastenkünstler Manfred Mann, der zunächst immer in Abständen von drei bis vier Sekunden einzelne Tasten suchend quälend langsam ein Solo beginnt, die Melodie noch nicht erkennen lässt, sich dann langsam aber sicher zu einem virtuosen Tastenritt in atemberaubender Geschwindigkeit und Dynamik steigert. Eine solche Version von Männer hätte auch Herbert Grönemeyer nicht besser hinbekommen.

 

Die Boxhorns waren (wie so oft auch bei Gwildis-Konzerten) wieder einmal das Salz in der Suppe, nicht nur bei den treibenden Titeln wie „Endlich“ und „Da werd ich sein“, sondern auch bei Balladen wie „So gerne“. Von mir schon auf der Studio-CD „Wie tief ist das Wasser“ als außergewöhnlich hervorgehoben, veredelten die Boxhorns diese Ballade mit ihrem tollen, Gänsehaut erzeugenden Bläserarrangement – und ich durfte es direkt vor den Boxhorns stehend live erleben. Auffallend weiterhin noch die Ultra-Lang-Version von  „Schwindelig“, natürlich live wieder mit erweitertem Textteil und dem „Landschaftsgärtner“, aber auch mit einem furiosen „Buena Vista Regy Club“ am Ende, das einen kurzfristig nach Kuba versetzte. Hauptakteur neben Lukas Fröhlich mit einigen Trompetensoli war wieder einmal Mat Clasen, der am Saxophon und an der Querflöte glänzte und mehrfach nach den Instrumentalteilen Szenenapplaus erhielt.

 

Die Setlist war eine ausgewogene Mischung von Songs des ersten und zweiten Albums:

1. Mach mir auf
2. Ich fahr zu Dir
3. Lass es so sein
4. Endlich (mit den Boxhorns)
5. So gerne (Regy solo mit den Boxhorns)
6. Ich seh Dich (mit Gitarrensolo)
7. Wenn ich von ihm träum
8. Blind
9. Die Stadt gehört Dir (Regy solo)
10. So nah
11. Schwindelig (mit Buena Vista Regy Club Ende)
12. Michy Reincke und Regy Duett
13. Michy Reincke solo
14. Ergib Dich (mit Wunderkerzen)
15. Fischer, Fischer
16. Kann ich bleiben heute nacht (mit Männerchor)
17. Männer (mit Rhodes-Solo)
18. Hast Du gewusst (mit A Capella Intro)
19. Da werd ich sein (mit den Boxhorns)
--  Zugabe 1 --
20. Wo ist zuhause
21. Immer noch
-- Zugabe 2 --
22. Träumst Du nicht (Regy mit Christian Gauger)

Somit war der Abend ein ausgewachsenes Konzerterlebnis, gerade wenn man bedenkt, dass viele Lieder durch Instrumentalteile angereichert wurden und somit nicht nur drei Minuten lang waren.

 

Das Konzerterlebnis ist nur dann perfekt, wenn das Konzert nicht perfekt ist, so lautet die einfache Grundregel für Live-Konzerte. Zu perfekt, da kann man sich ja gleich die Studio-CD anhören. Fehler machen Laune, gerade wenn sie so charmant überspielt werden wie in einem Regy-Clasen-Konzert. Zum tosenden Szenenapplaus kam es etwa nach dem Doppelfehler bei „Blind“. Zunächst einmal vergaß Regy eine Textzeile, improvisierte aber zur gleichen Melodie eine Textzeile über das Vergessen von Texten dazu – und schaffte es danach wieder, in den Originaltext zurückzukommen. Und dass es manchmal ein Nachteil ist, wenn die Band zuuu gut eingespielt ist, merkte man am Ende des Songs. Zwar war auf der am Bühnenfußboden ausliegenden Setlist dick vermerkt, dass „Blind“ an diesem Abend OHNE die übliche Bandvorstellung am Ende gespielt werden sollte (die Bandvorstellung war weiter am Ende des Konzertes geplant), aber die Band ging am Ende des Titels wie von selbst in die musikalische Warteschleife, zu der Regy dann die Bandmitglieder vorstellt. Was Regy dann auch tat, den Fauxpas zunächst einmal ausgiebig besingend. Am Ende meinte sie, sie könnte jetzt die Bandvorstellung an der eigentlich geplanten Stelle noch einmal wiederholen, würde das aber lieber lassen, da ihre Band sonst zu eitel werden würde :-).

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Der Runaway-Effekt ist  unter Fankreisen nach einem Erlebnis der irischen Sängerin Andrea Corr benannt worden. Während eines Auftritts vor 45.000 Zuschauern in ihrer irischen Heimat spürte sie bei der Ballade „Runaway“ plötzlich, dass das Publikum beim Gesang langsam lauter wurde als sie selbst. Mit glasigen Augen musste sie kurzfristig stocken und dem Publikum zunächst allein das Feld überlassen. Ein Mitsingteil ohne das demonstratriv ins Publikum gestreckte Mikrofon, das nicht nur dem Künstler auf der Bühne Gänsehaut beschert.

 

Trotz gegenteiligen Textes (statt „Runaway“ hieß der entsprechende Titel im Mandarin „Kann ich bleiben heute Nacht“) passierte Regy Clasen dasselbe, das Publikum war extrem textsicher, und – obwohl ich direkt vor den Lautsprechern in der ersten Reihe nach rechts versetzt stand – irgendwann lauter als Regy. Regy Clasen beeindruckte das wohl sehr, kämpfte sich aber sichtlich gerührt bis zum Ende durch den Text. Wie sagte Andrea Corr später in einem Interview: „Wenn das gesamte Publikum Deinen Text mitsingen kann, dann hast Du es geschafft“. Regy hat es in Hamburg geschafft. Naja, seit kurzem (nach verlässlichen Pressemeldungen) gehört die Stadt Hamburg ja auch ihr ...

 

 

(a.h. andreas@lonereviewer.de)

 

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Christoph, Credits: Christoph Lehner www.elchristo.de

Anekdote zur Setlist: Ich hatte nicht mitgeschrieben, war ohne Kuli und Zettel im Konzert. Ich wartete nach dem Konzert vor der Bühne, bis Mat Clasen zum Abbau noch einmal vom Backstage-Bereich herauskam, und fragte, ob er die vor seinen Füßen liegende Setlist noch bräuchte. “Ja, die brauchen wir noch für morgen” meinte er und wollte sie nicht herausrücken. Stimmt, dachte ich, Regy hatte das Mandarin-Kasino ja zwei Abende hintereinander ausverkauft und dies war erst der erste Abend. Beim Glas Wein wartete ich dann noch auf Hasko Witte und Regy. Regy bat (natürlich) an, mir die Setlist elektronisch zuzusenden. Was auch geschah. Jetzt habe ich die Setlist zweifach bekommen. Danke, Regy. Danke, Hasko :-).

 

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