Home
BuiltByNOF
 Stefan Gwildis (Januar 2005)

Stefan Gwildis und Band, Musikhalle Hamburg, 3. Januar 2005

alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Manni Otto (www.otto-photo.de)

SG-otto-photo-05---282

Einen Vorteil haben die Wiener Symphoniker noch. Sie sind pünktlich auf die Minute. Seit Jahrzehnten findet ihr Klassiker, das Neujahrskonzert, zur selben Zeit am selben Ort statt und ist Kult geworden.

 

In allen anderen Kriterien ist ein Hamburger namens Stefan Gwildis langsam im Vorteil. Zwar trifft er mit einem erst seit zwei Jahren zum Kult gewordenen Neujahrskonzert nie so richtig den Neujahrstag (28.12.2003; 3.1.2005) – er gilt ja auch in der allwissenden Presse als notorisch unpünktlich – aber vom Rundum-Wohlfühl-und-Gute-Laune-Effekt her macht ein dreistündiges, mit vielen Improvisationen beladenes Gwildis-Neujahrskonzert doch viel mehr Eindruck. Ein toller Auftakt für ein hoffentlich genauso tolles Jahr.

 

Der Set.

 

Das Konzert fand wie vor gut einem Jahr wieder in der Hamburger Musikhalle statt. Fest bestuhlt, damit schlecht zum Tanzen (aber dafür hat man ja die Sommer-Open-Air-Konzerte im Hamburger Stadtpark), aber von der Akustik und Sicht her erstklassig (wenn man nicht gerade im zehnten Oberrang in den hinteren Reihen sitzen muss). Als wir den Saal betraten, sahen wir hinter wenigen Hockern und Mikrofonen auf der Bühne einen weißen Vorhang hängen. Der größte Teil der Bühne, die in der Musikhalle ja sehr tief ist, war verdeckt. Unter dem Vorhang sah man aber weitere Podeste hervorschimmern, das Schlagzeug, den Percussion-Bereich, und links sah man unter dem Vorhang auch einige Blasinstrumente.  Die Keyboards im Bereich vor dem Vorhang links und rechts waren noch mit schwarzen Tüchern abgedeckt. Sollte es eine akustische Vorgruppe geben, die nur den vorderen Teil der Bühne nutzt? Aus den Lautsprechern vor dem Konzert hörten wir Annett Louisan aus dem gleichen „Stall“ wie Stefan Gwildis (auch 105music), aber aufgrund des großen kommerziellen Erfolgs des Louisan-Erstlings wäre sie als Support Act ja fast etwas gefährlich. Es kam dann auch anders: Eine Vorgruppe brauchte Stefan Gwildis nicht. Er begann das Konzert nur mit einem intimen Akustik-Set. Später fiel der erste Vorhang, mitten im Song „Lass mal ruhig den Hut auf“, der akustisch begann, dann aber mit voller Band fortgesetzt wurde. Die Beleuchtung und der „Bar-Nebel“ war wieder toll, teilweise wurde die Bühne in Grauschleier getaucht (etwa im Lied „Wunderschönes Grau“) , teilweise war bei Balladen ein Sternenhimmel zu sehen. Nicht nur die Beleuchtung war erstklassig, auch der Sound war ansprechend, bis auf einige kleine Fehler im Mix, die an diesem Abend die Boxhorns und den Gesang (meist den Background) etwas in den Hintergrund drängten.

SG-otto-photo-05---050

Die Konzertstruktur.

 

Jede Halbzeit begann akustisch, vor dem ersten weißen Vorhang. Dann fiel der Vorhang und der Big-Band-Teil begann. Es gab zwei Halbzeiten zu je 75 Minuten, zwischendurch entließ Stefan Gwildis zu einer 15-minütigen Pause. Nach der zweiten Halbzeit gab es zwei Verlängerungen mit Standing Ovations und tanzendem Publikum. Insgesamt ein Drei-Stunden-Konzert – in der Tradition des letzten Neujahrskonzertes und der Stadtpark-Konzerte bekam der Zuhörer etwas für sein Geld.

 

Die Setlist.

 

Das Konzert war eine ausgewogene Mischung aus bekannten Songs der letzten CD „Neues Spiel“ und ebenso bekannten Klassikern wie „Wajakla“ und „Ali’s Bude“ von den früheren Gwildis-CDs.

 

Ab Sommer 2004 bereits neu in der Setlist war „Mama mag ihn“ des Debut-Albums „Komms zu nix“. „Mama mag ihn“ erwies sich schon im Stadtpark als Publikumsliebling. Und obwohl Mama Alex Prinz (Background-Gesang) dieses Mal nicht auf der Bühne war und damit ihre Kinder auch nicht vor der Bühne tanzen konnten, war der Titel wieder ein Highlight und als Auftakt auch prominent platziert. „Mama mag ihn“ ist übrigens auch auf der im Februar erscheinenden neuen Gwildis-CD enthalten – mal sehen, mit welchem Arrangement.

 

Als weitere alte Perle hatte es erstmals „Jan der Gulaschmann“ in die Setlist geschafft. Der Titel von „Komms zu nix“, dort etwas versteckt auf Position 14 von 15 Songs platziert, besticht nicht nur durch den nachdenklichen Text über einen Außenseiter, sondern auch durch die auf Gitarre und Cello reduzierte musikalische Begleitung. War das Cello auf der Studio-CD noch von Vitas Sondeckis eingespielt worden, hatte auf der Bühne nun wie seit 2003 üblich Hagen Kuhr am Cello seinen großen Auftritt.

SG-otto-photo-05---076

Fünf Titel der neuen CD „Nur wegen Dir“ feierten auf der Bühne der Musikhalle ihre Premiere. Vier davon waren im Stil von „Neues Spiel“ Soul-Klassiker mit deutschen Texten:

  • „Wir haben doch jeden Berg geschafft“ (Ain’t no mountain high enough; Marvin Gaye), der erste neue Titel in der Setlist, ein echter „Renner“, gleichzeitig die Erinnerung an eine Dresdner Familie, die nach Westen aufgebrochen war und diesen Spruch in einem Interview dann von sich gab.
  • „Nur wegen Dir“ (Brown eyed girl; Van Morrison), das auch die erste Single-Auskopplung des neuen Albums werden wird.
  • „Das kann doch nicht Dein Ernst sein“ (I heard it through the grapevine; Marvin Gaye), von Mirko Michalzik an der Gitarre angetrieben.
  • „Bleib so wie Du bist“ (Love the one you’re with; Stephen Stills), der letzte Titel des regulären Sets, inklusive eines Saxophon-Solos und einer Bandvorstellung.
  •  

Der fünfte Titel war eine Eigenkomposition von Stefan Gwildis (Text: Stefan Gwildis mit Michy Reincke), die sich nahtlos an die Soul-Klassiker anlehnte: „Wunderschönes Grau“. Im Konzert suchte man verzweifelt nach dem Vorbild („das hört sich doch an wie ein Klassiker, nur welcher ist es denn?“), erst hinterher erfuhr man, dass man nicht weiter suchen musste. Der Titel war eine wunderschöne Liebeserklärung an Hamburg mit seinem immergrauen Himmel, der einem in anderen Teilen dieser Welt immer so schmerzlich fehlt, wo ein langweiliges Blau einen tagtäglich erwartet. Ein toller Titel insbesondere bei dem Wetter, das traditionsgemäß an einem Gwildis-Neujahrskonzert-Abend auf die zur Musikhalle strömenden Gäste wartet.

SG-otto-photo-05---192

Ergänzt man nun noch den improvisierten Begrüßungstitel („Guten Abend“) und einen improvisierten Titel „Früher war alles besser“ (den es in vier verschiedenen Stilvarianten gab), so ergab sich folgende Setlist:

 

    1.Intro: Guten Abend (akustisch)

    2.Mama mag ihn (akustisch)

    3.Mitten vorm Dock Nr. 10 (akustisch)

    4.Allem Anschein nach bist Du’s (akustisch)

    5.Lass mal ruhig den Hut auf (Intro akustisch; dann volle Band)

    6.Wir haben doch jeden Berg geschafft (NEU von „Nur wegen Dir“)

    7.Nur wegen Dir (NEU von „Nur wegen Dir“)

    8.Wem bringt das was?

    9.Sie lässt mich nicht mehr los

    10.Schön, schön, schön

    11.---------------PAUSE

    12.Jan, der Gulaschmann (akustisch) (ALT von „Komms zu Nix“, aber NEU im Set)

    13.Papa will da nicht mehr wohnen

    14.Früher war alles besser (Improvisiertes Intermezzo in vier Akten)

    15.Immer weiter

    16.Das kann doch nicht Dein Ernst sein (NEU von „Nur wegen Dir“)

    17.Warum komm ich nur so selten dazu

    18.Schlagzeug- und Percussion-Solo

    19.Wunderschönes Grau (NEU von „Nur wegen Dir“)

    20.Bleib so wie Du bist (NEU von „Nur wegen Dir“)

    21.--------------ZUGABE 1

    22.Wajakla

    23.Sie ist so süß wenn sie da liegt und schläft

    24.Alis Bude

    25.-------------ZUGABE 2

    26.Lass mich nicht allein heut Nacht

 

Als sehr mutig, und im nachhinein auch voll gelungen, muss die Entscheidung gelobt werden, mit zwei Titeln der noch nicht erschienenen CD den regulären Set zu beschließen. Berühmte Bands bauen die meisten Titel des aktuellen Albums in die erste Hälfte der Setlist ein, um in der zweiten Hälfte mit alten Hits die Stimmung oben zu halten. Und da noch keiner im Publikum die neuen Titel kennen konnte, war das Risiko schon sehr hoch. Auf der anderen Seite kann man sich nun ausmalen, dass das neue Album wohl ein würdiger Nachfolger von „Neues Spiel“ werden wird. Insbesondere die beiden Schlusstitel und „Wir haben doch jeden Berg geschafft“ gehörten zu den Stimmungsmachern an diesem Abend.

 

Die Band.

 

Nach dem Tivoli-Auftritt im September 2003, der sowohl im Fernsehen gezeigt wurde als auch auf DVD dokumentiert ist, den Neujahrskonzerten in der Musikhalle vor einem Jahr, und den Open-Air-Auftritten im Hamburger Stadtpark hatte sich DIE Stefan-Gwildis-Band herausgebildet: Die 13 erstklassigen Musiker neben Stefan Gwildis auf der Bühne waren seit über einem Jahr unverändert. „Never change a winning team“, könnte man auch als Zuhörer sagen, und war zunächst etwas bedröppelt, als beim Heben des Vorgangs sowohl Regy Clasen als auch Alex Prinz im Background-Gesang fehlten. Neben Julia Schilinski stand dieses Mal Sandra Glaser mit auf der Bühne. Hörte man genau hin, war das „er weiß Bescheid“ bei „Papa will da nicht mehr wohnen“ nicht so schneidend wie gewohnt, aber vielleicht war es ja auch nur der nicht unbedingt Background-freundliche Mix? Sonst machten die beiden ihre Sache sehr gut. Die auf allen anderen Positionen unveränderte Band an diesem Abend:

 

Stefan Gwildis - Gesang, Gitarre
Mirko Michalzik - Gitarre
Ralph Schwarz - Keyboards
Matze Kloppe - Keyboards
Achim Rafain - Bassgitarre
Martin Langer - Schlagzeug
Pablo Esquayola - Percussion
Hagen Kuhr - Cello
Sebastian Johnny John - Posaune
Lukas Fröhlich - Trompete
Mathias Clasen - Saxophon / Flöte
Julia Schilinski – Gesang
Sandra Glaser – Gesang

 

Zum Inventar gehört seit dem Stadtpark-Sommer auch der Gitarrentechniker mit wehendem Frack, mit wehenden Haaren und weißen Handschuhen, der mehrfach am Abend seine Spezialauftritte hatte.

SG-otto-photo-05---230

Die Soli.

 

Höhepunkte von Gwildis-Konzerten sind bei dieser mit erstklassigen Instrumentalisten besetzten Band natürlich die über den Abend verteilten Soli. An diesem Abend war übrigens alles anders: Die klassischen Höhepunkte wie das Posaunen-Solo von Sebastian (Johnny) John gab es nicht, die Boxhorns (so heißen die drei Bläser) waren an diesem Abend auch eher unterdurchschnittlich beschäftigt. Dafür traten einige Musiker in den Vordergrund, die sonst etwas im Schatten standen, allen voran Achim Rafain, Ralph Schwarz und Mirko Michalzik:

 

  • Achim Rafain bekam am Bass in „Schön, schön, schön“ sein Solo. Der Techniker trug mit Stefan Gwildis ein EXTREM staubiges Podest an den Bühnenrand. Nach einer hustenfördernden Säuberungsaktion betrat dann Achim Rafain das Podest und startete ein Solo, das neben Slap-Bass auch weitere Techniken des Bassspielens (einhändig; oder mit rechter Faust auf den Instrumentenkörper einhämmernd) eindrucksvoll zeigte. Die Ovationen des Publikums waren ihm am Ende sicher, sein Nachname wurde von Stefan Gwildis dann auch gleich mehrfach in den folgenden Liedtext eingebaut.

 

  • Ralph Schwarz hatte Soli an der Hammond in „Schön, schön, schön“ und am Klavier in „Wunderschönes Grau“, dazu war er noch einige Male am Abend sehr prominent mit der Hammond zu hören. Da er vor einem Jahr im Mix noch meist unterging, und auch auf der DVD die Hammond eher nur Begleitung war, waren diese Elemente für Jon-Lord-Fans ein erhebendes Gefühl.

SG-otto-photo-05---128
  • Mirko Michalzik hatte an der E-Gitarre in „Papa will da nicht mehr wohnen“ ein Solo. Auch für ihn positiv, da früher nur kurze Brückensoli für ihn blieben und er sich dieses Mal richtig austoben konnte.

SG-otto-photo-05---181

Daneben sind noch diejenigen zu nennen, die auch in den bisherigen Konzerten schon in ähnlicher Weise glänzen konnten:

 

  • Matthias Clasen am Saxophon in „Bleib so wie Du bist“, wobei er fast vom Podest kippte und von Lukas Fröhlich aufgefangen werden musste,

 

  • Lukas Fröhlich an der Trompete in „Papa will da nicht mehr wohnen“, leider fehlten aber weitere Auftritte an diesem Abend, da einige Titel durch das akustische Arrangement keine Boxhorns benötigten,

SG-otto-photo-05---170
  • Hagen Kuhr am Cello in „Jan der Gulaschmann“ und  „Papa will da nicht mehr wohnen“, wobei er nach dem wilden Papa-Solo ziemlich in den Seilen (seinem Stuhl) hing. Hagen Kuhr war sicher einer der Helden an diesem Abend neben Achim Rafain.

 

  • Matze Kloppe am Klavier in  „Warum komm ich so selten dazu“ und

SG-otto-photo-05---212
  • Martin Langer und Pablo Esquayola mit einem Schlagzeug- und Percussion-Solo als Intermezzo zwischen zwei Titeln, bei dem die restliche Band am Rande der Bühne sitzend zuhören und mitgehen konnte.

 

Die Gimmicks.

 

Das alles würde schon für einen extrem gelungenen Konzertabend reichen: gute Texte, tolle Musik, tolle Soli. Aber Gwildis-Konzerte bieten noch mehr. Improvisationen, nicht geplante Zwischenfälle, Interaktion mit dem Publikum, Ansagen, die sich zu improvisierten Geschichten entwickeln. Hier nur einige dieser „Gimmicks“, die sich kaum erzählen lassen, sondern die man erleben muss.

 

Guten Abend. Die Einleitung von Stefan Gwildis allein auf der Bühne, nur mit Gitarre bewaffnet. Er fällt beim Hinsetzen fast vom Hocker und hat damit schon die Lacher auf seiner Seite. Das gesungene, bestimmt dreiminütige, „Guten Abend“ verarbeitet nicht nur das traditionsreiche Solistenzimmer der Musikhalle, die sich nun wieder Laiszhalle nennen soll, in dem unter anderem schon Pavarotti gesessen hatte. Zusätzlich erwies sich Stefan Gwildis als sehr gut informiert über das Fernsehprogramm am Konzertabend, da er sich beim Publikum dafür bedankte, sowohl auf  Udo Jürgens und den Bericht über eine Truckerin verzichtet zu haben. Er besang das Scheißwetter, das traditionell bei seinen Neujahrskonzerten herrscht, und bedankte sich, dass das Publikum trotzdem nicht kehrt gemacht hat. Und er beschrieb die virtuellen Autopannen auf der Fahrt zur Musikhalle, die keinen der 2000 Gäste aber aufhalten konnten, das Konzert zu erleben.

SG-otto-photo-05---286

Die Fehler. Jedes Live-Konzert lebt von den Fehlern, die nun mal passieren. So verpasste Stefan Gwildis einmal bei einer Strophe von „Schön, schön, schön“ den Einsatz und musste im Stil von Andrea Corr von den Corrs mit einer halb-instrumentalen Textstrophe (Zitat Andrea: „we are now singing the instrumental verse“) fortsetzen.

 

Das Intermezzo „Früher war alles besser“. Mirko Michalzik hatte Recht. Natürlich war nach „Papa will da nicht mehr wohnen“ der neue Titel „Das kann doch nicht Dein Ernst sein“ auf der Setlist abgedruckt. Und da er nach dem tollen Solo in „Papa“ gerade so motiviert war, startete er fast ohne Pause in die elektrischen Startriffs von „I heard it through the grapevine“. „Stop, Stop“ brach Stefan Gwildis ihn ab, „völlig falsche Überleitung“. Dieser unberechtigte Anschiss für Mirko Michalzik führte nun zu einem tollen Intermezzo mit dem Titel „Früher war alles besser“, das es in verschiedenen Stilrichtungen, unter anderem im Stil der zwanziger Jahre, gab. Das Publikum machte mit und hatte schließlich den Schlusspunkt des gesungenen „Eukalyptusbonbons“ voll drauf. Anschließend setzte Stefan Gwildis dann zunächst mit dem Titel „Immer weiter“ fort, bevor er sich dann auf den Bühnenboden den Text vom eigentlich geplanten „Das kann doch nicht Dein Ernst sein“ bereitlegte.

 

Die neuen Texte. Stefan Gwildis merkte man an, dass er die Titel der neuen CD an diesem Abend zum ersten Mal vor großem Publikum präsentierte. Sein Blick ging immer wieder auf den Bühnenboden, um sich den Text noch einmal zu vergegenwärtigen.

 

Die Ansagen. Ein Klassiker von Gwildis-Konzerten sind sicher die Geschichten als Ansagen zu den einzelnen Songs. Für „Jan der Gulaschmann“ erklärte Stefan Gwildis den Beinamen von Jan. Ein regelmäßiger Besucher im Hause Gwildis machte sich immer über alles Essbare im Kühlschrank her, ohne groß zu fragen. Eines Tages konnte Stefan Gwildis ihn aufgrund eines Telefonanrufs nicht in die Küche begleiten. Hinterher lobte der Besucher dann das tolle Gulasch auf dem Kühlschrank. Stefan Gwildis bemerkte, dass aufgrund einer Wischaktion in der Küche das Katzenfutter vorher auf den Kühlschrank gestellt wurde. Fast eine Werbung für Whiskas, diese Geschichte. Die Ansage zu „ Sie lässt mich nicht mehr los“ mit klein Stefan im Laufgitter und seiner wuschenden, bukenden, brietenden Mutter in der Küche wurde wieder zum Schaulaufen für Improvisationen, die in Gitterstäben aus Rübenpulver, 100 Nachbarn am Radio in der Küche und dem ständigen Spruch „man hatte ja sonst nichts“ gipfelte. Und der Lieblingssender, den Stefan damals im Radio hörte, wurde aufgrund des Sponsorings schnell noch von NDR2 auf NDR 90.3 umgepolt.

 

Das Mitsingen. Nicht nur beim „Eukalyptus-Bonbon“, sondern auch beim „Dock Nummer 10“, bei „Bleib wie Du bist“ und bei „Sie ist so süß“ konnte das Publikum mitsingen. Zweimal verließ Stefan Gwildis dazu die Bühne, die, wie er einmal auf dem Rückweg bemerkte, für über 40-jährige schon „scheißhoch hier“ ist. Nur mit einer großen Ladung Taschentücher bewaffnet konnte man in der ersten Reihe das Mitsingen umgehen und auf das Mitleid von Stefan hoffen („Du bist verschnupft, Du brauchst heute nicht“). Den Sprung von und auf die Bühne konnte sich Stefan Gwildis übrigens nicht sparen: Zunächst wollte er das Mikro am Kabel in Lassomanier ins Publikum schleudern, was aber in einem auf dem Bühnenboden gefährlich aufditschenden Mikrofon resultierte und somit kläglich scheiterte.

SG-otto-photo-05---142

Interaktion mit dem Publikum. Das Publikum, von 7 bis 70, war sicher vor der Verlängerung etwas zurückhaltend. Als das Publikum dann während der Verlängerung komplett stand, verließ so einige doch die Kondition, sie suchten plötzlich das Weite. Oder hatten sie, wie wir, plötzlich stehend den 2,20-Meter-Riesen vor sich bemerkt (ein deutlicher Nachteil bei Stehkonzerten) beziehungsweise die Eltern mit ihren auf den Schultern sitzenden Kindern. Als einer dieser Siebenjährigen sich während der Zugaben plötzlich als Gwildis-Fan outete und „Stefan, Du bist der Beste“ rief, konterte Gwildis schlagfertig „So spät noch hier? Da muss man aber noch einmal über das Sorgerecht nachdenken“.

SG-otto-photo-05---197

Die Bandvorstellung. Die Vorstellung der Band im Konzert ist für mich immer einer der Höhepunkte, gleichzeitig aber auch der „Lackmus-Text“ für den Star des Abends. Stefan Gwildis hatte dieses Mal die Bandvorstellung in das letzte Lied des regulären Sets, „Bleib wie Du bist“, eingebaut. Er musste den strategischen Nachteil verkraften, dass Mat Clasen am Saxophon gerade sein Solo beendet hatte und ging dann relativ systematisch vom Saxophon am linken Bühnenrand aus bis nach rechts zu Matze Kloppe und dem Background-Chor. Das Pech (oder die Vergesslichkeit) blieb aber Stefan Gwildis treu: In jedem Konzert, das ich live oder auf DVD betrachten durfte, vergaß er einen aus der Band. Dieses Mal traf es Ralph Schwarz: Der Keyboarder saß ganz links am Bühnenrand, noch links neben Matthias Clasen am Saxophon. Pech für Stefan, oder, ein Tipp wie beim Fußball: Im Rücken der Abwehr spielt sich das Entscheidende ab, ab und zu muss man sich mal umdrehen ..

 

Der Bühnentechniker: Seit den Stadtpark-Konzerten im Sommer 2004 gehört auch ein Bühnentechniker mit Frack zum Konzept des Abends. Mehrfach von Stefan Gwildis erwähnt und gelobt, bringt er dem Hauptakteur an einer Stelle auch ein Percussion-Instrument nach vorn auf die Bühne. Dazu wechselt die Band plötzlich in den Zeitlupen-Modus, das ganze Lied verlangsamt sich, Stefan Gwildis „rennt“ in Zeitlupe auf den Techniker zu, der „rennt“ in Zeitlupe mit Rassel in die Mitte der Bühne .. direkt nach der Übergabe des Instruments, spielt Musik und die gesamte Szenerie dann wieder in der richtigen Geschwindigkeit .. Ein toller Effekt, eingebaut in „Papa will da nicht mehr wohnen“.

 

Der Rest. Und das war immer noch nicht alles, man könnte doch noch so viel erzählen. Über das stimmungsvolle Bühnenbild etwa mit dem Sternenhimmel beim „Lied für Lina“ („Warum komm ich so selten dazu“) und dem grauen Himmel beim „Wunderschönen Grau“ über Hamburg. Über Mirko Michalzik und Achim Rafain etwa, die während der Zugaben mal eine Bassgitarre zweihändig (oder besser: je einhändig) spielten, um die andere Hand frei zu haben. Über das knappe Top von Julia Schilinski, das sie zur zweiten Halbzeit von schwarz auf hellpink wechselte, um den Standard großer Popkonzerte (etwa: Cher, Christina Aguilera, ..) mit wenigstens einem Garderobenwechsel zumindest ansatzweise zu erfüllen. Und schließlich über den schon von der DVD bekannten Staffel(Stick)Wechsel zwischen Martin Langer und Stefan Gwildis, die bei „Alis Bude“ die Rollen als Sänger / Tänzer (!) und Schlagzeuger wechselten.

SG-otto-photo-05---216

 

Das Fazit.

 

Bedenkt man, dass in dieses Konzert diverse Premieren eingebaut waren, die nahtlos in das Standardprogramm eines Gwildis-Konzertes eingepasst wurden, und bedenkt man, das klassische Arrangements (Posaunensolo) gegenüber überraschenden neuen (Basssolo, Gitarrensolo)  aufgegeben wurden, so war dies vielleicht das beste Gwildis-Konzert, das ich besuchen konnte. Stefan Gwildis hat mit den neuen Titeln bewiesen, das er nicht eine Eintagsfliege ist, die das Programm der Neues-Spiel-Tour nur immer wieder und wieder fast unverändert spielen kann und muss. Stefan Gwildis wird uns wohl auch in Zukunft erfreuen und bestens unterhalten, mit neuem Programm, mit neuen Arrangements und mit neuen Gimmicks.

SG-otto-photo-05---224

Auf ein Posaunensolo hoffe ich dann im Sommer mal wieder, im Stadtpark, oder im nächsten Neujahrskonzert. Vielleicht haben ja die Boxhorns da insgesamt wieder etwas mehr zu tun. Und vielleicht wird es da auch ein Wiedersehen mit Alex Prinz und Regy Clasen geben.

 

Vergesst in Zukunft das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Nutzt am Neujahrsmittag lieber zum Austreiben des Silvesterkaters den Spaziergang an der frischen Luft. Und geht lieber zum Neujahrskonzert von Stefan Gwildis. Auch wenn es nie pünktlich ist. Auch wenn es immer über drei Stunden Sitzfleisch erfordert. Aber die Neujahrskonzerte von Stefan Gwildis sind Kult – und bleiben es hoffentlich auch zum zehnjährigen Jubiläum noch. Auf also in das graue Hamburg bei Scheißwetter um Neujahr 2006 – das Grau wird am Abend in der Musikhalle wunderschön werden.

 

 

(a.h. andreas@lonereviewer.de)

 

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Manni Otto, Credits: Manni Otto: www.otto-photo.de

 

Danke an Sandra Knop von www.105music.de für ergänzende Informationen.

 

 

 

[Home] [Impressum] [Über uns] [Aktuelles] [Update-Archiv] [Konzerte] [CDs/LPs] [DVDs] [Quickies] [Top-Listen] [Audio-Tipps] [Kolumne] [Galerie] [Links]