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Davon treiben
Glashaus (16.10.02, Hamburg, Große Freiheit)
Als Glashaus gegen 21:40 Uhr die Bühne betraten, hatte sich die Fläche davor einigermaßen gefüllt. Trotzdem war das Konzert wohl kaum ausverkauft; der Rang war geschlossen, und unten blieb immer noch reichlich Platz. Das hatte den Vorteil, dass man sich nicht auf den Füßen stand, in einem engeren Gedränge wäre aber vielleicht noch mehr Stimmung aufgekommen, vor allem weiter hinten. Direkt vor der Bühne war es indes sehr in Ordnung.
Das Vorprogramm rekrutierte sich komplett aus der Band selbst: Background-Sängerin Linda Carriere, die bei 3p ein eigenes Album draußen hat, gab zusammen mit dem Gitarristen und dem zweiten Background-Sänger sieben Songs zum besten. Wie kaum anders zu erwarten, hat sie eine gute Stimme, kräftig, schwarz und soulig. Es ließ sich außerdem mal wieder beobachten, wie viel Musik ein einzelner Mann mit einer 6-String doch machen kann, wenn er sein Handwerk versteht. Besonders das rockige "The Letter" machte Spaß.
Nach kurzer Pause erschien dann Glashaus, angeführt natürlich vom Dicken höchstpersönlich, Moses P, der sich zwar die meiste Zeit hinter dem Plattenteller aufhielt, aber immer wieder für kurze oder längere Raps nach vorne kam, oder einfach, um das Publikum anzuheizen. Dabei wurde er regelmäßig mit mehr Applaus bedacht als Sängerin Cassandra, was mir persönlich nicht so schmeckte, aber er ist im Gegensatz zu ihr nun mal der extrovertierte Typ, der gern im Mittelpunkt steht, und beide schienen es so okay zu finden.
Cassandra ist wirklich eine schöne und anmutige Frau. Ich wusste gar nicht, wie groß sie ist, sie überragte fast alle männlichen Bandmitglieder einschließlich Moses P, obwohl sie ganz flache Turnschuhe trug. Die meiste Zeit saß sie auf einem Barhocker, legte die Hände in den Schoß und sang einfach, doch ein paar Mal stand sie auch auf, um selbst das Publikum anzusprechen. Insgesamt hinterließ sie bei mir einen sehr guten Eindruck, nicht nur ihr Gesang war fehlerfrei, sondern sie vermittelte auch richtig Spaß am Auftritt, immer wieder suchte sie den Blickkontakt zu ihren Musikern und zeigte ihr bezauberndes Lächeln.
Die Band bestand neben Schlagzeuger, Bassist, Gitarrist und Keyboarder aus einem Pianisten, der einen waschechten Konzertflügel auf der Bühne stehen hatte, einem Cellisten und den besagten beiden Background-Vocalisten. Außerdem waren die obligatorischen Plattentische im Hintergrund aufgebaut, und ein Glockenspiel, das bei Bedarf für sphärische Klänge sorgte.
Die sanften Grooves der Band schaukelten das Publikum in einen wohlig verträumten Zustand, doch Glashaus verstanden es auch, den Leuten mit fetten Beats einzuheizen, nicht nur bei den Raps, die Moses P performte, sondern z.B. auch bei "Land in Sicht", "Hymne für mein Volk" oder "Was immer es ist". Bei "Flutlicht" stieg Meister Pelham dann zu seinen Jüngern hinab und wühlte sich einmal quer durch die Menge, so dass ihn jeder mal anfassen konnte. Er versteht es schon, Verbindung zum Publikum aufzunehmen, das muss man ihm lassen.
Inklusive der zwei Zugaben spielte Glashaus etwa eindreiviertel Stunden. Neben den bekannten Tracks wie "Bald (und wir sind frei)", "Ohne dich" oder "Wenn das Liebe ist" war unter anderem auch das Reinhard-May-Cover "Ich bring dich durch die Nacht" dabei, das ganz neu ist und demnächst auf einem Tribute-Album erscheinen wird.
Zudem ließ es sich Moses P nicht nehmen, die zwei "Predigt"-Tracks vom neuen Album vorzutragen, mit musikalischer Untermalung, versteht sich. Bis auf einen einsamen "Amen"-Ruf war die Reaktion des Publikums eher neutral. Insgesamt kann man aber sagen, dass Musik und Party eindeutig im Vordergrund standen, und die Zuschauer konnten nach dem abschließenden Track "Jetzt" zufrieden - und vielleicht immer noch etwas entrückt - nach Hause gehen.
Eines ist mir beim Live-Auftritt jedoch deutlicher aufgefallen als beim Hören der CDs: so charakteristisch der zarte, hohe Gesang Cassandras für den Sound von Glashaus auch ist, irgendwie fehlt etwas. Das ist nach meinem persönlichen Empfinden eine Schwäche dieses Konzepts - gerade bei Live-Auftritten warte ich doch immer auf diese magischen Momente, in denen eine Sängerin einfach alles auspackt, in denen sie ihre tolle Stimme mit aller Kraft zum Einsatz bringt, einen Ton mit unwiderstehlicher Macht hinaussingt, bis auch der letzte Zuschauer eine Gänsehaut bekommt.
So etwas ist halt mit einer gehauchten Kopfstimme nicht möglich, wenn ich auch nicht daran zweifle, dass Cassandra es könnte. So aber mochte die Band ein gewaltiges Crescendo hinlegen; der Gesang blieb in seiner Lautstärke immer ungefähr gleich. Eingefleischte Fans werden mir jetzt sicher entgegnen, das sei doch gerade das besondere an Glashaus. Mag sein, aber mir hat irgendwie was gefehlt.
(f.t.)
[ frank@lonereviewer.de ]
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