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 Pellegrino Underground

Pellegrino Underground - Unplugged

(2002)

 

„Amateur, Profi – die Grenzen werden zunehmend fließend!“

 

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Sehr gerne möchte ich an dieser Stelle mal die Gelegenheit ergreifen und über eine recht unbekannte Kombo aus der lokalen Musikkneipenrock- und Bluesszene Norddeutschlands berichten, die ihren promotion-tauglichen Zenit hinsichtlich des vorangeschrittenen Alters sicherlich schon ein wenig überschritten hat;- aber wie pflegt mein Herr Vater immer zu sagen: "man ist nie zu alt für irgendwas!". Drum fasse ich mir ein Herz und folge meinem Bauchgefühl, daß da mit Pellegrino Underground noch so einiges geht...

 

Insbesondere erfährt man diesen fortwährenden Spirit der mittlerweile Gereiften an der (professionell anmutenden!) voller Spiellust umgesetzten, musikalischen Steigerung, die zwischen den beiden live eingespielten Tonaufnahmen "Absolutely Live´95" (1995) und "Unplugged" (2002) liegt. Da schwingen die an Jim Morrison erinnernden und mit einer leichten Melancholie versehenen vocals; da passt die hörbar gezupfte, akustische Gitarre ins bluesig-jazzige Gewand; da trifft die stetig begleitende Mundharmonika jeden Einsatz und überrascht mit gekonnten vordergründigen Soli; die in ihrer rhytmischen Fülle genau abgestimmten Beats an der Djembe geben den Takt basisch vor und der hintergründige Bass bildet die tragende DNA der in schöner Old School-Manier lang ausgedehnten, sehr organisch klingenden Songs.

 

Das Schöne an dieser Produktion ist, daß man jedes Instrument klar heraushören kann (wenn man möchte am besten über Kopfhörer!) und jedem dieser Protagonisten ein wenig Zeit und Platz gibt, um sich spielerisch zu entfalten. Ein jeder, insbesondere instrumental-interessierter, Musikfan kommt auf den Geschmack. Wer auf akustische Gitarren und Beats steht, wer durchdringende vocals schätzt, ja sogar wer in etlichen Produktionen so oft schmerzlich die Mundharmonika vermißt, wird an dieser Aufnahme seine wahre Freude haben, da sie über „das Bekannte“ hinaussticht.

 

Das live einspielende Quintett von Pellegrino Underground bilden:

 

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Dirk Möhle (in der Mitte: an den vocals)

 

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Gerhard Schönau (hier an e-guitar & additional vocals)

 

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Melf Brodersen (am bass) & Jürgen "Bum" Krüger (an der harp)

 

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Ehrhardt Heinold (an drums & djembe, hier: mit kompletten set)

 

Ich bin nun nicht unbedingt der Blues- oder Jazzkenner, aber ich möchte frech und gar unbescheiden behaupten, daß ich mir mittlerweile über die Jahre des täglichen (und nächtlichen!) Musiklauschens ein relatives Gespür für gute Musik angeeignet habe,- und ganz ehrlich: Hätte man mir noch vor ein paar Jahren die Alben „Fleetwood Mac-Fleetwood Mac“ (das 68er Album mit Peter Green), „Ten Years After – Ten Years After“, „Pellegrino Underground – Unplugged“ und Material von „The Doors“ vorgelegt, man hätte mir „alle vier“ Bands als gestandene Interpreten ihrer jeweiligen genre-zugehörigen Zunft teuer verkaufen können. Die qualitativen Unterschiede sind kaum noch auszumachen – insbesondere wenn man die Liveaufnahmen miteinander vergleicht, was ja oft – da unbehandelt - die Spreu vom Weizen trennt!

 

„Pellegrino Underground – Unplugged“ jedenfalls, ist ein stimmungsvolles musikalisches Werk, das geeignet ist für Momente der Ruhe und des Zurücklehnens.

Man stelle sich bitte vor: Chicago in den 1970ern, eine kleine abgedunkelte Kneipe (in der kriminellen Unterwelt auch als Hafen-Kaschemme bekannt) an einer verlassenen Kreuzung in der Nähe des industriellen Hafenviertels. Der silbrige Regen fällt auf die Strassen, das Licht der freischwingenden Ampel streut sich auf dem nassen Asphalt. Eine seltsame Traurigkeit aber auch Stille und Einsamkeit liegt in der nächtlichen, voll Nebel getränkten, Luft. Was bleibt einem nun als, in seiner Melancholie versunkenen, umherirrenden Nachtbummler anderes übrig, als auf einen kleinen hochprozentigen, innerlich aufwärmenden Absacker in die naheliegende Kneipe einzukehren, die um diese späte Stunde noch aufzuhaben scheint. Ein kleiner geöffneter Spalt, um die stickige Luft des dunklen Raumes zu zirkulieren, liefert hörbare Klänge einer sanftmütig aber bestimmend spielenden Musikgruppe. In der Kneipe selbst herrscht schummriges Licht. Ein alter, bärtiger Barkeeper mit einer halben, leicht zerknitterten Zigarre im Mundwinkel trocknet die Gläser seiner wenigen Gäste. An der abgenagten Theke sitzen ein paar Gestalten, die an ihren letzten Whiskeys und Bieren nippen. Eine weibliche Bedienung mittleren Alters, die seitlich an einem schlecht übermalten Holz-Pfeiler steht, wartet geduldig auf Bestellungen. Den fröstelnden Neuankömmling begrüssen sie mit einem kurzen Aufsehen und bekannt wirkendem Zunicken,- alle sind sie wieder mit dem Rücken zur Türe gekehrt und lauschen bedächtig aber auch gefangen den melancholischen Klängen, die dort von der kleinen Bühne aus den ganzen Raum einzunehmen scheinen.

 

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Während der kurzen Pausen zwischen den zum Glück nie enden wollenden Songs, hört man den Regen - auf Einlass bittend - an den Fensterscheiben prasseln. Blauer Tabakqualm umtanzt die mittlerweile vergilbten Deckenlichter, die Zuhörer tippen und wippen vorsichtig mit Füssen, Fingern und Köpfen... der neue Gast bestellt sich bei der Frau einen Whiskey, setzt sich dazu und fühlt sich in seiner Einsamkeit nicht mehr allein!

 

So oder ähnlich stelle ich mir eine passende Szene aus dem Leben gegriffen vor, die zu der Musik von Pellegrino Underground passt. Kein Liedgut zum Tanzen oder Frohlocken, keine Musik zum Abreagieren oder Abrocken. Es ist aber die zu einer gewissen Stimmung und bestimmten Nachtzeit passende Musik, um einen trüben Tag ausklingen zu lassen oder innerlich einer Verflossenen endgültig aber ein letztes Mal Lebewohl zu sagen. Songmaterial, um seine Sorgen beiseite zu legen oder mit der Musik im aufsteigenden Rauche vereint den Türspalt hindurch in die ungemütliche Nacht entschwinden zu lassen. Sie produziert die richtige Stimmung, um herunterzukommen von dem Alltagstrauma dieser neuen, hektischen aber oft auch zynischen Welt des 21 Jahrhunderts.

Dennoch rate ich zu wohl dosiertem Genuß dieser Scheibe,- ein wenig lebensbejahende Heiterkeit sollte hin und wieder auch mal an der Tagesordnung liegen. Am besten wenn die Sonne wieder aufgeht und ein neuer Tag beginnt!

 

Pellegrino Undergrounds Unplugged-Album wirkt in seiner Machart jedenfalls merkwürdig professionell und erhaben,- als könnte dieser Aufnahme niemand (auch noch so mies gestimmter Geselle) auch nur ein Haar krümmen. Wo an anderer Stelle geschnitten, gemixt, remastered und in seiner Mehrzahl überproduziert wird, wirkt dieses kleine "Kunstwerk" aus Amateurhänden (und das meine ich respektierlich!) herrlich dreckig, kantig und wunderbar unbehandelt. Man braucht nur die Augen zu schliessen und findet sich mit ein wenig Fantasie in der beschriebenen Kneipe oder anderorts (alternativ auch irgendwo an der mexikanischen Grenze) mit ähnlich blauer Traurigkeit wieder, so sehr live (!) erklingt die Aufnahme - wenn man zu nah an die Box heran geht, meint man, an der Gitarre von Gerhard Schönau mitzupfen zu können.

 

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Die Stücke brillieren trotz ihrer genrebedingten Gleichartigkeit mit kleineren Highlights: Instrumentale Brücken, emotionale Steigerungen durch Gesang und Instrument („Love Lies“), kurze Pausen mit daraufhin gekonnt getimetem Wiedereinstieg aller Beteiligten („Love And Forgiveness“, Stelle: Minute 6, Sekunde 7) und auch mal zum Grooven einladenden Mitshakern („The Kissin One“). Es gibt viel zu entdecken, zu kosten und zu schmecken in der kulinarischen Unterwelt der Pellegrinos – und das Beste daran: auf dem Teller bekommt man hierbei keinerlei Nachgekochtes, sondern „Originalrezepte“ aus der hauseigenen Kelle der Pellegrinos serviert!

 

Man vermag nicht zu sagen, welches Stück im Puzzle den Ton angibt. Für den einen mag es die Stimme sein, für den anderen die Gitarre. Meine Ohren haben sich ein wenig in die Mundharmonika verschossen! So sehr, daß ich mir nun doch endlich selbst mal eine 12er Kollektion an günstigen Harps aller Tonlagen besorgt habe, und nun fleissig – sofern Zeit vorhanden ist, ich von der Muse genügend geküsst werde und „die richtige Stimmung“ vorherrscht– den Bluesrock einübe...

 

(a.j.)

[andre@lonereviewer.de] 

 

 

Live-Photos von Markus Jankowiak und Thomas Fuchs

mit freundlicher Genehmigung von Melf Brodersen zur Verfügung gestellt

CD- und weitere Infoanfragen bitte an: ulli-dirk@freenet.de

 

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