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 Chicago: XXX

CD-Review

 

Chicago: XXX

(erschienen: April 2006)

 

Chicago30-200 

 

Durchhaltevermögen wird belohnt 

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Chicago stellen ihr 30. Album vor

 

 

Ihr Durchhaltevermögen wurde belohnt. Wen wir mit „Ihr“ meinen? Die Band Chicago. Hatten sie doch bereits im Jahre 1993 ein Studioalbum produziert, das in 1994 veröffentlicht werden sollte .. und dann nie erschien. Das Album mit dem Titel „Stone of Sisyphus“ (die potentielle Nummer 22 in der numerierten Folge der Alben) enthielt tolle Songs in Zurückerinnerung an die jazz-rockigen Chicago-Anfänge .. und waren damit ein Affront gegen das damalige Plattenlabel. Nein, Chicago HATTE einfach Balladen im Stil vom Millionenseller „If you leave me now“ zu schreiben und zu produzieren. „Back to the roots“ wollten ja nur die harten Fans, nicht aber die Masse.

 

„Stone of Sisyphus“ war damals mein erster Kontakt zu mp3. Nachdem sich die Band ein paar Jahre erfolglos bemühte, das produzierte Album doch beim Plattenlabel durchzusetzen, resignierten sie, wechselten das Label .. und plötzlich tauchten auf wundersame Weise aufgrund einer (gezielten) Indiskretion auf Fanseiten die mp3’s des kompletten Albums auf. Damals wusste ich noch nicht, wie man von diesem für mich neuen Format eine Audio-CD „brennt“, mir wurde damals von Kollegen geholfen. Als „Stone of Sisyphus“ damals nicht erschien, ging Chicago zu Best-Ofs, Swing-Cover-Alben, Weihnachtsalben und Live-Alben über und füllte somit die Alben Nummer 22 bis 29.

 

Das Label Rhino, auf dem nun das Album „XXX“ (also die Nummer 30) veröffentlicht wurde, ist Spezialist für alte, restaurierte Musik. Viele Remaster-Serien des Backkatalogs bekannter Bands aus den Siebzigern sind bei Rhino erschienen, und nun auch ein brandneues. Das Durchhaltevermögen von Chicago wurde damit belohnt: nachdem in 1991 nun das letzte Studio-Album mit eigenen Songs erschien (Nummer 21), konnten sie 15 Jahre später mit „XXX“ ein Werk vorstellen, das die Interessen von Musikmanagern und Fans unter einen Hut bringt.

 

Wie hört nun der echte Fan dieses Album? Zunächst einmal kommt der Schock: der Auftakttitel Free, hier im „Hot Single Mix“ (man ahnt schon Schlimmes) ist zwar schnörkelloser Power-Pop, aber mehr nicht. Der typische Chicago-Sound ist zwar beim mehrstimmigen Satzgesang noch da, aber die Bläser fehlen komplett. Da hat der Mainstream-Geschmack sich komplett durchgesetzt: natürlich stören beim Autofahren oder als Hintergrundmusik in der Küche die scharfen, kantigen Bläsersätze sehr, die Dynamik der Aufnahme muss ja auch immer sehr glattgebügelt sein. Damit war schon klar: diese Version von Free war als Single-Auskopplung für das Dudel-Radio geplant. Danach geht es dann mit fünf Titeln weiter, die perfekten Power-Pop-Rock (Caroline), Power-Balladen bis hin zum Pop-Rock mit Harmoniegesang und Gitarrensoli bieten. Diese fünf Titel bieten den Chicago-Sound der Ära nach dem Tod des ersten Gitarristen Terry Kath (also ab 1978): alle Titeln mit dem Chicago-Markenzeichen, dem Bläser-Trio Tompete, Saxophon und Posaune, eingespielt. Der Chicago-Fan erster Stunde ist aber mittlerweile etwas gelangweilt: der jazz-rockige Chicago-Sound der sechziger und siebziger Jahre scheint sich nicht wiederbeleben zu lassen. Aber oh Wunder: ab Titel 7 gibt es eine dicke Überraschung. Die Manager des Plattenlabels waren wohl mit sechs  radiokompatiblen Songs zufriedengestellt.

 

Ihr Durchhaltevermögen wurde belohnt. Wen wir mit „Ihr“ meinen? Die Fans der Band Chicago. Wer eventuell etwas gelangweilt die ersten sechs Titel des Albums gehört hat und den CD-Player dann weiterlaufen lässt, dem knallt plötzlich ein Jazz-Rocker erster Güte um die Ohren: 90 Degrees and Freezing ist ein begeisternder Titel, der all das hat, was Chicago vor 40 Jahren berühmt gemacht hat, inklusive zwei Jazz-Rock-Soli der Bläser bzw. der Gitarre. Und so geht es dann auch weiter: Already gone hat einen wunderschönen und mitreißenden Jazz-Funk-Schlussteil mit Ecken und Kanten.

 

Es muss aber nicht immer Jazz-Rock sein: Titel vier der zweiten Hälfte des Albums (also Titel 10 des Albums) ist mit Come to me, do eine Robert-Lamm-Komposition mit soulig-warmem Sound und fließender Melodie, aber auch traumhaften Bläsersätzen und groovenden Keyboards im Hintergrund. Und selbst der darauffolgende Pop-Titel Lovin’ Chains hat die so sehr ersehnten Kanten, sogar zwei Gitarrensoli. Und beim ersten Gitarrensolo lässt stilistisch Terry Kath, der 1978 verstorbene Gitarrist, grüßen.

 

Ganz zum Schluss versöhnen sich dann selbst die echten Chicago-Fans auch wieder mit dem Beginn des Albums: Titel 13 ist Free (w/horns), wie auf dem Platten-Cover steht. Der radiokompatible Einheitsbrei des Titels 1 hört sich im Bläser-Arrangement doch gleich ganz anders an. Irgendwie schade, dass heutzutage Bläser ein No-No-Instrument für das Pop-Radio geworden sind.

 

Chicago hat dieses dreißigste Album natürlich nicht mehr in der Originalbesetzung eingespielt: Nach dem Tod von Terry Kath ist auch noch die Stimme und der Songschreiber der Balladen, Peter Cetera, ausgestiegen. Damit brauchte man auch einen neuen Bassisten und einen neuen Schlagzeuger. Die neue Chicago-Besetzung ist aber nun schon seit 12 Jahren stabil, seitdem als Gitarrist Keith Howland eingestiegen ist. Und weiterhin: die drei Bläser (Pankow, Parazaider, Loughnane) und der Keyboarder und Sänger (Lamm) sind noch von der Originalbesetzung der sechziger Jahre dabei. Die aktuelle Besetzung von Chicago:

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Robert Lamm: Piano, Wurlitzer, Hammond organ, Vocals

Lee Loughnane: Trumpet, Flugelhorn, Piccolo trumpet

James Pankow: Trombone

Walt Parazaider: Saxophones, Flutes

Bill Champlin: Hammond organ, Piano, Fender Rhodes, Vocals

Jason Scheff: Bass, Vocals

Tris Imboden: Drums

Keith Howland: Guitar

 

Die Trackliste des Albums:

 

   1. Feel (Hot Single Mix)      (Dan Orton / Blair Daly)

   2. King Of Might Have Been      (Jason Scheff / Dennis Matosky / Greg Barnhill)

   3. Caroline      (Jason Scheff / Chas Sandford)

   4. Why Can’t We      (Bill Champlin / Jay DeMarcus / Jason Scheff /
       Chas Sandford)

   5. Love Will Come Back      (Jason Scheff / Jay DeMarcus / Chas Sandford)

   6. Long Lost Friend      (Jason Scheff / JayDeMarcus / Brett James)

   7. 90 Degrees And Freezing      (Robert Lamm / Jason Scheff / Brett James /
       Jay DeMarcus)

   8. Where Were You      (Jason Scheff / Bill Champlin / Jay DeMarcus)

   9. Already Gone      (Bill Champlin / George M. Hawkins Jr.)

  10. Come To Me, Do      (Robert Lamm)

  11. Lovin’ Chains      (Jay DeMarcus / Marcus Hummon)

  12. Better      (Bill Champlin / Chas Sandford)

  13. Feel (The Horn Section Mix)      (Dan Orton / Blair Daly)

 

 

Geduld lohnt sich also. Für Bands, die 15 Jahre auf die Veröffentlichung eines Studioalbums warten müssen und zwischendurch schon produzierte Songs eines anderen Albums nur durch Indiskretionen als mp3’s über Fanseiten verbreiten können.  Aber Geduld lohnt sich auch für Fans: Man sollte nicht gleich beim ersten Titel eines Albums dieses als langweilig klassifizieren. Man sollte Lauschgeduld beweisen und das Album vom ersten bis zum letzten Ton aufmerksam hören. Und hört man es dann mehrmals, so bemerkt man, dass der Pop-Rock und die Power-Balladen am Anfang im Gesamtkontext doch Sinn und Spaß machen: Chicago XXX ist die Geschichte von Chicago „in a nutshell“, vom 60er Jazz-Rock-Sound bis zu den Powerballaden der 80er. Und somit warten wir dann geduldig bis zur Nummer 40, zum 50-jährigen Bestehen der Band im Jahre 2017.

 

 

a.h. (andreas@lonereviewer.de)

 

 

Links:

 

Offizielle Seite der Band:

 

http://www.chicagotheband.com

 

Offizielle MySpace-Seite:

 

http://www.myspace.com/chicagotheband

 

Tolle, deutsche Fan-Seite:

 

http://www.chicago-web.org/

 

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